Titelthema: Drag-Lesung für Kinder in Ingolstadt – ein provokantes Angebot erregt die Gemüter
Für erhebliche Aufregung sorgt eine Drag-Vorlesung für Familien und Kinder ab vier Jahren, die am 4. März 2024 im Rahmen des Fem-Festivals angeboten wird. Dass Männer in schrillen Frauenkleidern aus Kinderbüchern vorlesen, sorgt in den sozialen Medien – und wohl nicht nur da – teilweise für Unverständnis und kontroverse Diskussionen: „Nur noch Geisteskranke“, „Die armen Kinder, die dahin geschleppt werden“; „Da kommt dann hoffentlich das Jugendamt mal zu den Eltern“ oder auch „Für so einen Stuss hat die Stadt noch Geld. Überall soll gespart werden, aber der Mist findet statt“. Es fi ndet sich aber auch Zustimmung „Die Traumatisierung durch Krampus findet man auch Jahrzehnte später lustig“; „Finde es toll, dass man sich dafür einsetzt, dass man sein darf, wie man will und es den Kindern auch vermittelt“
Fem-Festival ist eine Kooperationsveranstaltung der Gleichstellungsstelle und des Kulturamtes. Sie erklärten auf Anfrage von IN-direkt übereinstimmend, dass sie voll hinter der Veranstaltung sowie hinter der zentralen Botschaft stehen, die lautet: „Es ist ok, wenn Menschen verschieden sind. Sei wie Du bist und lass Dich nicht verbiegen – egal welche Meinung andere haben“. Man geht davon aus, dass die Botschaft authentisch ist, wenn sie von Menschen überbracht wird, die nicht alltäglich gekleidet sind.
Erschreckend finden beide Veranstalter was den Künstler und Künstlerinnen widerfährt. Nicht nur, dass sie – vor allem in sozialen Medien – Beleidigungen und Beschimpfungen, die weit unter die Gürtellinie gehen, ausgesetzt sind, sondern es werden ihnen gegenüber sogar Morddrohungen ausgesprochen.
In Juni 2023 fand in München genau die in Ingolstadt geplante Vorlesung für Kinder statt, die nicht nur heftige Diskussionen nach sich zog. Tatsächlich kam es zu Demonstrationen der Gegner und Befürworter und es bedurfte sogar 200 Polizisten, um den geordneten Ablauf der Demonstrationen sowie der Veranstaltung zu gewährleisten. Die Aufregung um das Angebot wurde in sämtliche lokale Medien aber auch in bundesweiter Presse wie beispielsweise Spiegel, Stern oder Zeit bedacht; aber auch der Züricher Neue Nachrichten war es einen Artikel wert.
Wer steckt hinter Eric BigCl!t?
Hinter der Kunstfigur steckt Alice Möschl,(alias Alice Moe) die 1989 in Salzburger Land geboren wurde, zunächst Soziale Arbeit studierte und anschließend Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz. Sie arbeitet in einem Jugendzentrum in Linz. Das Ziel ihres Engagements sei der Begriff „Community“, erklärt sie auf ihrer Instagram-Seite. „Community“ mit allen Menschen, Tieren und Pflanzen sei für sie ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Begriff ihrer Arbeit. „Es gilt nicht nach unten oder zur Seite zu treten, sondern die herrschende Klasse nachhaltig zu verunsichern“ So will sie Aufmerksamkeit für nicht binäre Personen schaffen, damit sie irgendwann endlich in der Welt vorkommen. (Nicht binäre Geschlechtsidentität ist eine Sammelbezeichnung für die Geschlechtsidentität aller Menschen, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren).
Das sind die Knackpunkte
Der Künstlername eines der Protagonisten Eric BigCl!t (große Klitoris) erscheint verstörend und alles andere als kindgerecht. Viele verbinden damit die Befürchtung einer Frühsexualisierung. Dahinter steckt die berechtigte Sorge, Kinder könnten zu früh durch nicht kindgerechte Inhalte verstört oder negativ beeinflusst werden. Zum einen stößt natürlich der Name auf. Es stellt sich die Frage, warum diese Namenswahl, wenn der Fokus der Kunstfigur nicht auf Sexualität liegt. Auf seinen Nick angesprochen, erklärt der Protagonist in einem Interview Die Zeit, dass für ihn entsprechende Bedenken wegen seinen Künstlernamen und seine einschlägigen Bildern auf Instagram durchaus nachvollziehbar seien. Das sexualisierte Outfit sei aber ausschließlich Abendveranstaltungen mit Altersbeschränkung vorbehalten, bei Kinderlesungen sei er einfach nur Prinz Eric. Wenn ihn größere Kinder auf BigCl!t ansprechen, erkläre er ihnen, dass es wichtig sei, jeden Körperteil benennen zu können.
Als ein weiteres Bedenken wird Kindeswohlgefährdung ins Feld geführt. Für die Protagonisten geht der Ursprung dieses Vorwurfs auf Gruppierungen zurück, für die eine klassische Familie das Ideal darstelle und alles andere ihnen Angst mache. Deshalb setzen sie queere Menschen mit Missbrauchstätern gleich. Es sei aber wichtig, dass bereits Kinder erfahren, dass es mehrere Geschlechtsidentitätsmöglichkeiten als Frau oder Mann gäbe, denn „keiner ist in seiner zugeschriebenen Rolle wirklich glücklich“, so Alice Moe. Das entlaste Kinder, wenn sie das Gefühl hätten, anders zu sein. Die Befürchtung, der Kontakt zu homosexuellen oder queeren Menschen würde ansteckend sein, ist wissenschaftlich schon lange widerlegt.
Das ist ein Artikel aus der aktuellen Print-Ausgabe…
Kommentar
Umsetzung des wichtigen Anliegens mit einigen Fragezeichen
Bedenken oder Kritik am Angebot, das freiwillig ist, darf niemals eine Einladung zur üblen persönlichen Angriffen oder gar Morddrohungen sein!
Die Kinderbücher, die Kinder ermuntern ihren eigenen Weg zu gehen, sind allesamt gut ausgewählt. Bedauerlich finde ich allerdings, dass nur eines von fünf Büchern Mädchen als Identifikationsfigur anbietet.
Die fantasievollen Kostüme machen Kindern Spaß. Ob allerdings dadurch die Botschaft „sei Du selbst“, tatsächlich authentischer und für Kindergartenkinder verständlicher wird, wenn diese von extrem binären Geschlechterrollenbildern transportiert werden, erscheint fraglich. Menschen mit eindeutig biologischen Geschlechtern, die sich über ihr definiertes Geschlecht hinwegsetzen und zeigen, dass einem alle Türen offen stehen, wären für Kinder eher nachvollziehbar.
Bildinformationen
- Drag-Lesung für Kinder in Ingolstadt: Michelle Walter