Anna Janina und Anno Köhler lassen die letzte Stunde des Dichters mit Witz, Charme und feinem Gespür lebendig werden.
Endlich war es so weit: Anna Janina konnte auch im Altstadttheater ihr Singspiel dem neugierigen Publikum präsentieren. Große Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus – und die Künstlerin sorgte schon im Vorfeld dafür, dass man gespannt war, was da kommen würde. Die junge Frau hatte monatelang enormen Aufwand betrieben, um Leben und Werk ihres Lieblingsautors Hermann Hesse in Szene zu setzen. Es gibt nur wenige Autoren, deren Vita und Gedankenwelt so umfassend dokumentiert wurden wie die des Nobelpreisträgers: Hesse hinterließ rund 35.000 Briefe. Er stand in reger Korrespondenz nicht nur mit Familie und bekannten Schriftstellern, sondern beantwortete auch unzählige Zuschriften von Leserinnen und Lesern auf der ganzen Welt persönlich.
Auf der Bühne liest Hermann den eindringlichen Brief seiner Mutter, die ihn vor der Muse warnt: „Oh mein Kind, fliehe der Muse“ – just in dem Moment betritt diese den Raum. Die Muse, die ihn zeitlebens in verschiedensten Gestalten begleitete und inspirierte, ist gekommen, um ihn auf seine letzte Reise mitzunehmen – sehr zum Missfallen des Dichters, der ja noch so viel zu tun hat. Es entspinnt sich ein humorvoller Dialog zwischen den beiden, durchzogen von poetischen, liebevollen und eindringlichen Liedern aus der Feder der Künstlerin. Das Singspiel offenbart eine kenntnisreiche, manchmal erschütternde Rückschau auf den Dichter, dessen Werke Generationen von Lesern geprägt haben.
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Die Muse, verkörpert von der vielseitigen Künstlerin, Autorin und Chansonsängerin Anna Janina, packt für den Dichter – der gerade noch sein letztes Gedicht „Knarren eines geknickten Astes“ vollendet – charmant, aber bestimmt all die Erinnerungen ein, die für ihn bedeutsam waren: jene, die ihn prägten, aber auch die, die ihn beinahe zerbrechen ließen. Mehrmals hatte Hesse versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen, und verbrachte zeitweise auch Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Wie schwierig der in seinen Werken so feinfühlige Autor im privaten Leben sein konnte, zeigt die Szene mit seiner ersten Ehefrau Mia, die ihn vergeblich um Zuwendung bittet – und brüsk zurückgewiesen wird, weil er „Luft brauche, um zu lieben“.
Doch die Muse packt auch viele heitere Momente für die letzte Reise ein: das Boccia-Spiel, rauschende Ballnächte in Zürich, Begegnungen mit Freunden. Schließlich ist sein letztes Gedicht vollendet, und Hesse fügt sich in das Unvermeidliche: „Wohl an, Herz, nimm Abschied und gesunde.“
Tatsächlich stirbt er in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1962 friedlich in Montagnola.


Anna Janina ist mit diesem Singspiel ein beeindruckendes Porträt des Nobelpreisträgers gelungen. Anno Köhler schaffte es mit wenigen Mitteln, eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Hesse zu vermitteln, und überzeugte mit einer überragenden Darstellung der widersprüchlichen Emotionen – Wut, Verzweiflung, Träumerei – die den Dichter in seiner letzten Stunde bewegen. Anna Janina führte den alten Mann liebevoll, aber bestimmt durch die letzten Minuten seines irdischen Daseins und erinnerte ihn in wunderbaren Songs an das, was ihn ausmachte – und tröstete ihn zugleich.
Das Singspiel war perfekt inszeniert und bis ins Detail stimmig. Erwähnt werden muss auch das atmosphärische Bühnenbild bis hin zu dem scheinbar antiken Projektor, für das Florian Remsperger verantwortlich zeichnete.
Mit „Klingsors letzte Stunde“ gelang Anna Janina eine liebevolle Hommage an ihren Lieblingsautor – ohne ihn zu verklären. Der Abend machte zugleich Lust, Hesses Bücher wieder einmal in die Hand zu nehmen.
Für alle, die Hesse ebenfalls lieben oder einfach einen Abend mit schöner Musik, Herz und viel fundiertem Hintergrund erleben möchten, bietet sich am 22. und 23. November im Altstadttheater noch einmal Gelegenheit – unbedingt empfehlenswert.
