Ein Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung
Der Klassiker von Gustave Flaubert, der 1857 erschien, sorgte nicht nur für einen Skandal – der Schriftsteller wurde sogar wegen Verstoßes gegen die guten Sitten und der Verherrlichung des Ehebruchs angeklagt. Die Geschichte ist bekannt: Die schöne Emma, aus einfachen Verhältnissen stammend, heiratet den verwitweten, gutmütigen Landarzt Charles Bovary und erhofft sich dadurch die Erfüllung ihrer romantischen Vorstellungen und ein aufregendes gesellschaftliches Leben. Enttäuscht sucht sie Ablenkung im exzessiven Konsum von Luxusgütern und in leidenschaftlichen Affären. Zu spät erkennt sie, dass sie auch für ihre Liebhaber nur eine vorübergehende Ablenkung ist und diese sie, wenn es darauf ankommt, verlassen. Ihr verschwenderischer Lebensstil stürzt die Familie in den Ruin. Am Ende bleibt für Emma nur der Ausweg in den Freitod – eigentlich.



Und eigentlich endet damit das Drama. Nicht aber bei dieser Aufführung. Nach der Pause beginnt Mira Fajfer zunächst im Plauderton, über das tragische Ende der Protagonistin zu sprechen, um dann aufzuzeigen, dass dies das gemeinsame Schicksal vieler Frauenfiguren in der Literatur ist: Wer aus der geschlechtsspezifischen Rolle ausbricht, scheitert – landet in der Psychiatrie, stirbt einsam im Elend oder nimmt sich das Leben. Ihre Ausführungen werden unterbrochen, und sie befreit den weiblichen Uterus aus einer Kiste – und mit ihm die Symbolik und die Zwänge, die sich seit Menschengedenken um diesen geheimnisvollen Körperteil ranken. Bereits zweitausend Jahre vor Christus sah man die Ursache fast aller Frauenkrankheiten in der Gebärmutter – einem „Lebewesen, das nach der Kinderzeugung begehrt“. Bleibt diese aus, so, glaubte man, wandere sie durch den Körper, könne die Lunge lähmen, das Herz angreifen oder sich gar im Hirn festbeißen.
Die Aufführung endet mit Emmas Monolog für freie und selbstbestimmte Lebensentwürfe von Frauen, die auch heute noch durch viele gesellschaftliche und sozialpolitische Umstände verhindert werden.



Die Premierenbesucher feierten stürmisch die gelungene Darbietung des Ensembles:
Sarah Schulze-Tenberge als eine Emma, die mit ihrer unglaublichen Energie erstaunte und begeisterte; Matthias Gärtner, der liebevoll, aber hilflos um seine Ehefrau warb; Sascha Römisch als Mutter Bovary – eine Gouvernante, die dennoch immer wieder ihre Schwiegertochter entlastete; Mira Fajfer als Händlerin, die Emma in ihrer Luxussucht unterstützt, aber irgendwann kompromisslos die Schulden eingefordert haben will; Enrico Spohn und Marc Simon Delfs glänzten als ihre Liebhaber.
Während der zweite Teil der Aufführung restlos begeisterte, konnte im ersten Teil Emmas Unzufriedenheit nicht völlig überzeugen. Das war umso bedauerlicher, als es gerade um die Konventionen und Zwänge ging, in die Emma gedrängt wurde und aus denen sie auszubrechen versucht. Man erlebte allerdings einen liebevoll zugewandten Ehemann und eine Schwiegermutter, die zwar eine andere Vorstellung von weiblicher Rolle hatte, Emma aber dennoch immer wieder entlastete – etwa, indem sie ihr das Kind abnahm, das die junge Frau als Last empfand.
Trotz dieser dramaturgischen Schwäche bietet die Inszenierung einen großartigen Theaterabend, der sicherlich Anlass zu vielen Diskussionen gibt – absolut empfehlenswert. (HaGa)
 
				 
															