Parteienrückblick aus dem Ingolstädter Stadtrat, Teil 1
Neun Fraktionen und Ausschussgemeinschaften ziehen Bilanz über vier bewegte Jahre. IN-direkt wollte es von den Parteien im Ingolstädter Stadtrat genau wissen: Was sind ihre Erfolge in der aktuellen Legislatur, woran werden sie auch noch in Zukunft arbeiten? Die Antworten bilden die Basis unserer Zusammenfassung und zeichnen ein facettenreiches Bild mit manchmal weit auseinanderliegenden Positionen kommunaler Politik.
Erfolge messen die Parteien auf sehr unterschiedliche Weise: Die AfD am Einzug in Fraktionsstärke, die CSU an der Rückkehr „ihres“ Oberbürgermeisters, FDP/JU an einer deutlich belebteren Innenstadt durch liberalste Regeln für Bürgerfest und Außengastronomie. Die Grünen betonen Klimaziele, Hitzepläne und Nachhaltigkeit, die Linke verweist auf Rekommunalisierungen, die ÖDP auf den konsequenten Schutz des Grünrings, die SPD auf Investitionen in Bildung sowie den ÖPNV, die Freien Wähler auf ihre Rolle im erfolgreichen Widerstand gegen die Kammerspiele, die UWG auf mobile Jugendarbeit und Verbesserungen der Aufenthaltsqualität im innerstädtischen Bereich.
Doch nicht alles gelang sofort: Ein Uniklinikum bleibt für FDP/JU eine langfristige Vision, die ÖDP beklagt schleppenden Klimaschutz, die Grünen den blockierten Umbau der Schlosslände. Zu den offenen Baustellen gehören auch die seit Jahren diskutierten Schulschwimmbäder. Sanierungen im Bildungs- und Kulturbereich ragen als gemeinsames Dauerthema heraus – vom Katharinen- und Apian-Gymnasium bis hin zum Stadttheater, dessen Neubau oder Alternativen weiter kontrovers bewertet werden.
Finanzen und Sanierungen
Die heutige Finanzlage zeigt, wie riskant es war, frühere Sanierungen nicht konsequent anzupacken. War es ein Versäumnis, dass bei Schulen, Infrastruktur und Gesundheitseinrichtungen so lange gezögert wurde? Hätte man früher gehandelt, wären die Kosten deutlich geringer geworden? Die SPD räumt ein, damals zu ruhig gewesen zu sein, die CSU verweist im Gegenzug auf eine stabile Haushaltsführung und spricht von notwendigen Prioritäten. FDP/JU sehen immerhin beim Feuerwehrbedarfsplan konkrete Fortschritte, während die Grünen den Klimaschutz als ebenso kostenintensiv wie unverzichtbar hervorheben und auf die langfristigen Einsparungen verweisen.

Sanierungen und Infrastruktur bleiben Prüfsteine: Stadttheater, Photovoltaik auf Dächern oder Parkhausentscheidungen verlangen belastbare Finanzpläne, klare Zeitfenster und ein ehrliches Eingeständnis der finanziellen Grenzen. Die UWG erinnert zudem daran, dass bei den Kammerspielen der Kauf des Holztheaters schon früh die bessere Alternative gewesen wäre – eine Lehre für die Zukunft. Die Freien Wähler mahnen zusätzlich an, dass zu viele externe Gutachten Zeit und Geld kosten und die Kompetenz innerhalb der Verwaltung gestärkt werden müsse.
Bürgernähe und Legitimation
Bürgernähe gilt vielen als politisches Kapital: Beim Bürgerfest für die FDP/JU, die Kulturspendenkonten der Linken oder der Grünring-Erhalt durch die ÖDP zeigt sich, wie stark Rückmeldungen aus der Stadtgesellschaft Politik prägen. Doch wie weit darf dieser Einfluss gehen – und wo muss am Ende der Stadtrat Entscheidungen auch gegen Widerstände durchsetzen? Die Freien Wähler verweisen auf den erfolgreichen Widerstand gegen den ursprünglichen Standort der Kammerspiele, die UWG auf den Bürgerentscheid als Warnsignal bei teuren Projekten. Die AfD sieht ihre Stärke in der verstärkten Präsenz, die SPD hebt den direkten Dialog mit den Menschen hervor. Für die Linken ist die Berücksichtigung des autonomen Fahrens ein zentraler Punkt in der Stadtplanung, während die ÖDP den langfristigen Schutz des Grünrings fast als Daseinsvorsorge begreift.
Und was sind die drei Themenfelder, an denen sich in Ingolstadt künftig zeigen wird, wer Verantwortung übernehmen kann? Das lesen Sie in der November-Ausgabe im zweiten Teil unserer Analyse.
Kommentar:
Die Ohnmacht der Kleinen?
Ob FDP, Linke oder andere: Immer wieder klagen kleinere Fraktionen darüber, von Mehrheiten überstimmt zu werden. Doch ist das wirklich ein Makel – oder schlicht die Logik der Demokratie? Wer nur zwei oder vier Sitze im Stadtrat hat, kann nicht erwarten, dass die eigene Agenda automatisch durchgeht. Das System lebt von Kompromissen – und davon, Mehrheiten zu überzeugen. Gleichzeitig bleibt die Frage: Wie gelingt es, auch Minderheitenstimmen konstruktiv einzubinden, damit wichtige Impulse nicht untergehen? Hier entscheidet sich, ob Politik als Wettbewerb der Ideen verstanden wird oder als Kampf der Blöcke. Größere Fraktionen müssen Dialogräume öffnen und Vorschläge aufnehmen – sonst verhärten sich die Fronten. Minderheiten sind unbequem, ja – aber sie sind auch Seismographen für gesellschaftliche Stimmungen. Wer sie ignoriert, verliert langfristig Vertrauen. Demokratie heißt Mehrheit entscheidet – aber eben nicht: Minderheit wird (oft) überhört.
Titelfoto: freepic
Foto Baustelle: Hartmann