Grüne Fraktion und DIE LINKE beantragen Benennung nach einem weiteren Holocaust-Überlebenden
In diesem Jahr wurde in Ingolstadt eine Straße nach Hugo Höllenreiner benannt. Damit wurde erstmals ein Vertreter aus der nationalen Minderheit der Sinti und Roma gewürdigt.
Ein weiterer, hier ansässiger Sinto war der Zeitzeuge und Holocaust-Überlebende Karl Fröhlich. „Als NS-Opfer gebührt auch ihm die Ehre, dass eine Straße nach ihm benannt wird,“ findet die Grüne Stadträtin Agnes Krumwiede, „wenn es die Stadt ernst damit meint, Deutsche Sinti bei Straßenbenennungen mit einzubeziehen.“ Immerhin lebt die Familie seit den 1960er Jahren als Mitbürger*innen in Ingolstadt.
Zusammen mit der Stadtratsgruppe der LINKEN hat die Grüne Fraktion nun beantragt, bei der nächsten Gelegenheit eine Straße in Ingolstadt nach Karl Fröhlich zu benennen.
Antrag an den OB:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
mit der Benennung einer Straße nach dem Zeitzeugen Hugo Höllenreiner wurde im März 2025 erstmals eine Straße in Ingolstadt nach einem Deutschen Sinto benannt. Deutsche Sinti und Roma bilden in unserem Land die größte nationale Minderheit. Mitglieder der Familie Fröhlich sind ebenso wie jene der Familie Höllenreiner seit den 1960er Jahren Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt.
Bei der Buchpräsentation von „80 Jahre Kriegsende in Ingolstadt – Gefangen in der NS-Vergangenheit“ am 19. November in der VHS hielt auch ein Enkel des Holocaust-Überleben-den Karl Fröhlich eine Rede. Im Namen seiner Familie formulierte er den Wunsch, das Gedenken an seinen Großvater in Form einer Straßenbenennung wach zu halten und damit das Unrecht sichtbar zu machen, das ihm und vielen anderen NS-Verfolgten angetan wurde.
Eine Schwester Karl Fröhlichs, einige seiner Söhne und Enkelkinder leben in Ingolstadt und engagieren sich für die Erinnerungsarbeit. So arbeiteten sie beispielsweise mit dem Zentrum Stadtgeschichte zusammen für die Ausstellung „Unsere Menschen“ (Oktober 2023 – März 2024), trugen maßgeblich bei zur Publikation „80 Jahre Kriegsende in Ingolstadt – Gefangen in der NS-Vergangenheit“. Wenn es die Stadt Ingolstadt ernst damit meint, auch die Mitbürger*innen der Deutschen Sinti bei Straßenbenennungen mit einzubeziehen und an NS-Opfer zu gedenken, sollte es nicht bei der Benennung nach einem einzigen Ingolstädter Sinto bleiben. Denn Ingolstadt ist die Heimat vieler Deutscher Sinti.
Wir beantragen daher,
bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit eine Straße nach Karl Fröhlich zu benennen.
Begründung
Ohne den Ergebnissen der Straßennamen-Kommission und den diesbezüglichen Stadtratsentscheidungen vorgreifen zu wollen, liegt es auf der Hand, dass einige Straßen aufgrund der NS-Belastung ihrer Namensgeber früher oder später umbenannt werden müssen. Eine Umbenennung einer dieser Straßen in „Karl-Fröhlich-Straße“ wäre eine Möglichkeit zur Umsetzung dieses Antrags.
Kurzbiografie von Karl Fröhlich
Karl Fröhlich war der Sohn von Siegmund Schneeberger und Franziska Fröhlich. Er kam am 15. Januar 1924 in Vessely Mezimoski (in Böhmen) zur Welt und hatte 20 Geschwister. Nach der Machtübernahme zog die Familie nach Wien. Am 28. Juni 1939 verhaftete die Gestapo den damals 15-Jährigen an seinem Ausbildungsplatz in einer Gärtnerei und wies ihn in das Konzentrationslager Dachau ein.[1] Am 27. September 1939 wurde Karl Fröhlich an das Konzentrationslager Buchenwald überstellt,[2] wo ihn die SS-Ärzte für pseudomedizinische Menschenexperimente missbrauchten.[3]Am 31. März 1942 ist er dem „Kommando Lauenburg“ zugeteilt worden, welches ab 01. April 1942 dem Konzentrationslager Stutthof unterstellt war.[4]Dort musste er in einem Steinbruch schwerste Zwangsarbeit leisten.
Am Ende des Krieges sollte Karl Fröhlich an Bord eines der „KZ-Schiffe“ gehen, welche später in der Lübecker Bucht durch britische Jagdbomber in der irrtümlichen Annahme angegriffen wurden, auf den Schiffen befänden sich Wehrmachtssoldaten. Tatsächlich waren etwa 7.500 Häftlinge aus Konzentrationslagern an Bord. Die Mannschaften von SS und SD in den Rettungsbooten schossen auf die im Wasser treibenden Häftlinge. Nur wenige hundert von ihnen überlebten. Karl Fröhlich war nicht an Bord eines der Schiffe gegangen. Er konnte im letzten Moment entkommen.
Nach der Befreiung ließ er sich zunächst in Halle nieder, wo er seine erste Frau kennenlernte. Sie war ebenfalls eine Überlebende der Konzentrationslager und verstarb wenige Jahre später an den Haftfolgen. In der DDR erhielt Karl Fröhlich eine „Einzelgenehmigung für Schaustellerei“. Dieses Privileg war damals nur den besonders angesehenen Sinti vorbehalten. Er sah jedoch in der DDR keine Zukunft für sich und seine Familie. In einem „Notaufnahmeverfahren“ wurde die Aufnahme Karl Fröhlichs mit seiner zweiten Ehefrau und den Kindern „zum ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet“ gewährt. Im Jahr 1966 ließen sie sich in Ingolstadt nieder und Karl Fröhlich baute eine Existenz für seine Familie auf. Bis zu seinem Tod bereicherte er das gesellschaftliche Leben in Ingolstadt und der Region, beispielsweise betrieb er lange Zeit eine Pferde-Reitbahn auf dem Barthelmarkt in Oberstimm.
Bei seinem Entschädigungsverfahren war Karl Fröhlich mit denselben diskriminierenden Hürden konfrontiert wie die allermeisten Deutschen Sinti. Was den „Schaden in Freiheit“ sowie den „Schaden in der Ausbildung“ betraf – Karl Fröhlich war 1939 von seiner Lehrstelle in ein Konzentrationslager deportiert worden – argumentierte das Bayerische Entschädigungsamt im Jahr 1963: „Die zu dieser Zeit (Anm. d. Verf.: vor dem sog. „Auschwitz-Erlaß“ vom 1. März 1943) gegen Zigeuner ergriffenen behördlichen Maßnahmen beruhten aber auf anderen, vorwiegend sicherheitspolizeilichen Gründen und haben mit einer NS-Verfolgung aus Gründen der Rasse (noch) nichts zu tun.“[5] Welche „sicherheitspolitischen Gründe“ dafür sprechen könnten, einen 15-Jährigen in ein Konzentrationslager zu deportieren, erläuterte das Entschädigungsamt nicht. Obwohl ärztliche Gutachten und Augenzeugen-Berichte anderer Mithäftlinge bestätigen, dass Karl Fröhlich in den Konzentrationslagern massiv misshandelt worden ist und dadurch bleibende körperliche Schäden davongetragen hat,[6] wurden ihm nur geringe Entschädigungsleistungen zugesprochen. Er legte keinen Widerspruch ein.
Karl Fröhlich verstarb am 2. Juli 1994 im Krankenhaus Kösching.
Mit freundlichen Grüßen
Agnes Krumwiede Francesca Pane Roland Meier
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN DIE LINKE DIE LINKE
Barbara Leininger (Fraktionsvorsitzende), Dr. Christoph Spaeth (Fraktionsvorsitzender), Christian Höbusch, Maria Segerer, Jochen Semle
Pressemitteilung

