Stilfragen

Kommentar von Hermann Käbisch

Jemanden als „alt“ zu bezeichnen, das ist in den seltensten Fällen ein Kompliment. Wenn ein Stadtrat aber beschließt, dass sich ein früherer Oberbürgermeister künftig „Altoberbürgermeister“ nennen darf, so verleiht er diesem ehemaligen Amtsträger eine Ehrenbezeichnung. Diese geschieht dann, wenn sich jemand in seiner Amtszeit besondere Verdienste erworben hat.

Ob es eine gute Entscheidung war, Christian Scharpf die Ehrenbezeichnung „Altoberbürgermeister“ zu verleihen, darüber kann man streiten. Er war nicht mal sechs Jahre Oberbürgermeister von Ingolstadt und ist freiwillig nach fünf Jahren nach München gegangen, um dort als Wirtschaftsreferent Karriere zu machen. Er hat also seinen Wählerauftrag, Stadtoberhaupt von Ingolstadt für die Dauer von sechs Jahren zu sein, nicht erfüllt. Andererseits war es Scharpf in seiner Amtszeit gelungen, viele Gräben zwischen den Parteien und Fraktionen im Stadtrat zu überbrücken und ein für sachliche Zusammenarbeit erforderliches gutes zwischenmenschliches Klima zu schaffen. Das war nach den zum Teil heftigen und persönlichen Auseinandersetzungen im Stadtrat, insbesondere in der Zeit zwischen 2014 und 2020, dringend notwendig. Jedenfalls hat der Ingolstädter Stadtrat beschlossen, Scharpf den Titel „Altoberbürgermeister“  zu verleihen.

In einer „kleinen Feierstunde“ im „Historischen Sitzungssaal“ des Alten Rathauses wurde dann  Scharpf von seinem Nachfolger Michael Kern die Urkunde überreicht. Normalerweise geschieht das im Rahmen einer gesondert anberaumten Stadtratssitzung. Darauf wurde diesmal verzichtet. Die Konsequenz: Es waren natürlich nicht alle Stadträte anwesend, es gab auch kein Sitzungsgeld. Bemerkenswert war: Von der Stadtratsfraktion der Grünen war keine einzige Person anwesend. Dabei war es  Scharpf, der den Grünen den Posten einer Bürgermeisterin (Petra Kleine) verschaffte. Ohne Scharpf hätten die Grünen wohl keinen Bürgermeister gestellt. Die grüne Bürgermeisterin Petra Kleine ließ sich wegen Krankheit entschuldigen. Erstaunlich war auch, dass zwar die „Kollegen/Kolleginnen“ Altbürgermeisterin Brigitte Fuchs und Altbürgermeister Sepp Mistelbeck anwesend waren, nicht aber  Altbürgermeister Albert Wittmann und Altoberbürgermeister Christian Lösel. Vielleicht hatten sie keine Zeit.

Zeit hatten andere  CSU-Mitglieder,  auch des Kreisvorstandes, als es auf dem Herbstfest um einen Aufenthalt im Bierzelt ging. Dort fand der traditionelle „Blaulicht-Empfang“ für die Menschen statt, die für unsere Sicherheit im Einsatz sind: Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Hilfsorganisationen. Es ist guter Brauch, dass natürlich auch die Stadträte dort vertreten sind und sich als Vertreter der Stadt bei den eingeladenen Gästen bedanken. Darüber berichten dann die Politiker gern in den sozialen Medien, um sich bürgernah und dankbar zu zeigen. Seltsamerweise finden sich aber von dieser Veranstaltung kaum Bilder bei einigen führenden CSU-Politikern, die sonst nahezu jedes Detail ihres Lebens online stellen. Lag es vielleicht daran, dass diese Politiker mit führenden Vertretern der AfD  ca. 90 Minuten gemütlich am Biertisch saßen und sich gut unterhielten? Wollte man das vielleicht nicht dokumentiert haben? Zur gleichen Zeit bemühten sich Bundeskanzler Friedrich Merz und Ministerpräsident Markus Söder, die Brandmauer zur AfD aufrecht zu erhalten.

Foto: Hartmann

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