Klimakrise, Kunst und Koller – eindrucksvolle Uraufführung im Kleinen Haus
Fünf junge Menschen finden sich 2026 in einem Residency-Programm am Genfer See ein. Sie sollen sich mit dem Jahr 1816 beschäftigen – dem Jahr ohne Sommer. Es war geprägt von einer Klimakatastrophe, ausgelöst durch den Vulkanausbruch in Indonesien. Dieser führte zu Kälte, Hunger, politischen Umwälzungen und religiösem Wahn.
Die fünf stoßen dabei auf eine historische Künstlergruppe um Mary Shelley, die sich ebenfalls 1816 am Genfer See aufhielt und sich mit dem Schreiben von Geschichten die Zeit vertrieb. Der Nachwelt blieb daraus bis heute der Roman der damals 18-jährigen Mary erhalten: Frankenstein.
In Anna Gschnitzers vielschichtiger Auftragsarbeit treffen historische Spiegelungen auf heutige Krisen: Während 1816 die Sonne nicht schien, erstickt die Künstlergruppe von 2026 an Hitze, Lärm und Überforderung. Die Klimaanlage ist ausgefallen, Frösche quaken sich ins Haus – Endzeitstimmung überall.



Doch die wahren Konflikte entstehen in den Köpfen. Die Gruppenkonstellation scheint nicht zufällig gewählt.Jeder der Beteiligten kämpft mit eigenen Dämonen, Zweifeln, alten Verletzungen, die immer wieder aufbrechen, und der Sehnsucht, gesehen zu werden – wie Frankensteins Kreatur selbst.
Die vielschichtige Auftragsarbeit der italienisch-deutschen Autorin Anna Gschnitzer verarbeitet in dieser Produktion die wirtschaftlichen, politischen und klimatischen Einflüsse auf die Kunst sowie das persönliche Ringen der Menschen darum, unter veränderten Bedingungen überhaupt noch schöpferisch tätig sein zu können.
Ein Abend, der den Darstellern alles abverlangt:
Viktoria Voss spielt die überspannte Künstlerin Ray, die nicht nur unter Erfolgsdruck, sondern auch unter dem Vorwurf des Machtmissbrauchs an der Universität leidet. Sie versucht, sich beim Dauerlauf abzureagieren – allein vom Zuschauen wurde einem fast schwindlig.
Renate Knollmann verkörpert die weniger erfolgreiche Videokünstlerin und Rays Ex-Geliebte. Sie versucht verzweifelt, wenigstens telefonisch ihrer Tochter eine gute Mutter zu sein. Gleichzeitig leidet sie unter dem angespannten Klima und bemüht sich, die Beziehung zu ihrer Ex zu entspannen.
Richard Putzinger ist als Kurator vollkommen überfordert. Er fürchtet um seinen Job und glaubt längst nicht mehr an den Erfolg der Gruppe. Dennoch versucht er, die Auftraggeber zu beschwichtigen und die Künstler bei Laune zu halten.
Matthias Zajgier und Chen Emilie Yan liefern sich energiegeladene Wortgefechte, werfen sich gegenseitig unlautere Motive und künstlerische Ausbeutung vor – was sie jedoch nicht daran hindert, ungeniert miteinander zu flirten. Chen, die sich im Verlauf des Stücks immer stärker von den quakenden Fröschen fasziniert zeigt und sich schließlich mit ihnen identifiziert, beeindruckt durch ihren enormen körperlichen Einsatz.
Regie, Ensemble und Ausstattung verschmelzen zu einem packenden, sinnlich dichten Abend über Klima, Krise und Kreativität. Das Publikum dankte mit lang anhaltendem Applaus für diese herausragende Produktion und die großartigen Leistungen der Darstellerinnen und Darsteller.
Ein starkes Stück Gegenwartstheater – und eine absolute Empfehlung.