Barrierefrei ist mehr als rollstuhlgerecht

Mit „leben:IN:klusion“ Ingolstadt zu einer Inklusionsstadt machen

Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie als Erwachsener gezwungen wären, in einem Heim zu leben?

Wenn man Ihnen vorschreiben würde, was Sie tun und lassen dürfen und wann Sie zu Hause sein sollten? Ich glaube, jeder von uns würde alles daransetzen, das zu ändern. Das Recht auf Selbstbestimmung ist eines der wichtigsten Ziele von „leben:IN.klusion“, einem Verein, der sich im November 2024 in Ingolstadt gegründet hat.

Allerdings steckt die Umsetzung dieses Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben noch in den Kinderschuhen, obwohl es durch die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland bereits 2009 ratifiziert hat, auch Menschen mit Einschränkungen garantiert ist.

Um die UN-Konvention tatsächlich auch in Ingolstadt umzusetzen, hat sich der Verein zwei Schwerpunkte gesetzt: Arbeit und Wohnen. Raphaela, die nicht nur dem Vorstand angehört, sondern auch Kassenwartin ist, möchte Betroffenen und ihren Angehörigen in persönlichen Beratungsgesprächen mögliche berufliche Perspektiven aufzeigen, um sie aus der vorgezeichneten Parallelwelt – Förderschule, Werkstatt, Wohnheim – herauszuholen.

Außerdem setzt sich der Verein dafür ein, dass Menschen mit Einschränkungen dort leben können, wo sie möchten, und die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Ziel ist es daher, auch in Ingolstadt inklusive Wohngemeinschaften zu schaffen, von denen es in München bereits über dreißig gibt. In einer solchen Wohngemeinschaft leben zum Beispiel vier Menschen ohne und fünf mit Behinderung zusammen. Besonders Studierende nutzen dieses Angebot: Sie wohnen dort mietfrei und übernehmen im Gegenzug bestimmte Aufgaben für ihre Mitbewohner. Das fördert nicht nur das Recht auf ein selbstbestimmtes Wohnen, sondern wirkt auch dem akuten Personalmangel in Einrichtungen entgegen.

An der Verwirklichung solcher Wohngemeinschaften arbeitet der Verein bereits seit zwei Jahren. Es gibt inzwischen drei entsprechende Objekte, doch endgültig abgeschlossen ist bislang keines der Projekte.

Die Herausforderungen eines inklusiven Vereinslebens in Ingolstadt

Für jeden Verein ist es wichtig, einen Ort zu haben, an dem sich die Mitglieder treffen können – so natürlich auch für „leben:IN.klusion“. Doch wahrscheinlich macht man sich wenig Gedanken darüber, wie schwierig es ist und was alles bedacht werden muss, wenn man ein inklusives Treffen für alle organisieren möchte: Nicht nur der Raum selbst muss mit dem Rollstuhl erreichbar sein, auch eine entsprechende Toilette muss vorhanden sein. In diesem Zusammenhang wurde bewusst auf den Begriff „Barrierefreiheit“ verzichtet, denn Barrieren bestehen nicht nur in der Erreichbarkeit mit dem Rollstuhl.

So muss zum Beispiel auch Reizüberflutung vermieden werden, damit auch Menschen mit ausgeprägter Reizempfindlichkeit teilnehmen können. Es gibt zusätzliche Barrieren blinder oder gehörloser Menschen, die diesen eine gesellschaftliche Teilhabe erschweren.

Das „Backstage“ erfüllt weitgehend die notwendigen Voraussetzungen für solche Treffen. Den Mitgliedern wird jedoch schon jetzt mulmig, wenn sie daran denken, dass das Lokal während der Sanierung des Stadttheaters geschlossen wird. Denn es gibt kaum ein anderes Lokal in Ingolstadt, das annähernd so geeignet wäre.

Ein Traum: ein inklusives Lokal

Ein Traum der Betroffenen und Engagierten wäre es, ein eigenes inklusives Lokal betreiben zu können. Dies würde nicht nur einige attraktive Arbeitsplätze schaffen, sondern auch Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe bieten. Neben den bereits genannten Barrieren braucht es dafür auch einen sogenannten „Safestay“ – einen stillen Raum, der gehörlosen Menschen oder Menschen mit ausgeprägter Reizsensibilität als Rückzugsort dient.

Caroline und Raphaela sind überzeugt: Eine solche Gastronomie würde zur Attraktivität der Innenstadt beitragen.

Interessenvertretung braucht Öffentlichkeit

Um Interessen durchzusetzen, braucht es Öffentlichkeit. Deshalb nutzt der Verein verschiedene Veranstaltungen wie etwa das „Dinner in White“ oder das „Fest der Kulturen“, um sich vorzustellen. Außerdem nehmen sie jedes Jahr am Behindertenprotest „Randgruppenkrawall“ in München teil, bei dem lautstark für ein selbstbestimmtes Leben und gegen Ausgrenzung und Bevormundung demonstriert wird.

Der noch junge Verein, der aktuell an seiner Satzung und Homepage arbeitet, freut sich über jeden, der Menschen mit Behinderung unterstützen möchte. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Es gibt zahlreiche Ideen, die man gerne umsetzen würde, wie Spiele- oder Bastelnachmittage – dafür benötigt man aber ausreichend engagierte Helferinnen und Helfer. Auch Förderer sind herzlich willkommen. Da der Verein inzwischen als gemeinnützig anerkannt ist, sind Spenden zudem steuerlich absetzbar.

Gelegenheit zum Kennenlernen bietet das monatliche Spaßtreffen. Man hofft, durch diese niederschwelligen, offenen Treffen Unterstützer und Förderer zu finden. Diese Treffen finden jeweils am letzten Mittwoch im Monat statt. Der jeweilige Treffpunkt – eine barrierefreie Gaststätte – wird rechtzeitig über die Medien bekannt gegeben.

Alternativ kann man ihn auch telefonisch unter 01563 0651382 erfragen. (HaGa)