Grüne: kein Rückfall zu alten CSU-Reflexen
Anlässlich des Statements „Aufklärung ja, aber keine flächendeckende Umbenennung von Straßen“ von Christian Lösel, CSU, erklärt Agnes Krumwiede, Sprecherin im Ausschuss für Kultur und Bildung für die Stadtratsfraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN:
Die Initiative von Grünen, Linken und SPD, eine Kommission zur Benennung und zum Umgang mit historisch umstrittenen Straßennamensgeber*innen einzurichten und die Umbenennung der Hindenburg-, Mölders- und Udetstraße zu prüfen, scheint das Blut mancher CSU-Mitglieder in Wallung zu bringen. Ex-OB Christian Lösels Statement „Aufklärung ja, aber keine flächendeckende Umbenennung von Straßen“ ist an Populismus kaum zu überbieten. Denn um „flächendeckende“ Umbenennung geht es im Antragstext nicht. Lediglich im Fall der Hindenburg-, Mölders- und Udetstraße soll der Finanzumfang von Umbenennungen durch die Verwaltung geprüft werden. Damit den Anwohner*innen durch diese Maßnahme keine finanzielle Belastung entsteht, müssten die Kosten durch die Stadt übernommen werden. Als Alternative zu Straßenumbenennungen werden im Antrag Hinweisschilder unter den durch eine Kommission zu ermittelnden Straßennamen historisch umstrittener Persönlichkeiten vorgeschlagen – Aufklärung also.
Herrn Lösels Geschichtsverständnis lässt zu wünschen übrig, wenn er eine Umbenennung von Straßen und Plätzen lediglich für „Kriegsverbrecher“ und Adolf Hitler gelten lässt (wie er in einem Facebook-Beitrag auf seiner Seite erläutert). Das NS-Regime wurde ermöglicht durch jene, die die menschenverachtende Ideologie vordachten, die mitjubelten und das Regime unterstützten. Sie Alle waren mitverantwortlich. Niels Weise vom Institut für Zeitgeschichte in München antwortete der SZ auf die Frage, warum bislang als unproblematisch empfundene Personen im NS-Kontext immer stärker in die Diskussion geraten: „Mit dem Fortschreiten der Täterforschung hat sich unser Verständnis, was überhaupt eine NS-Belastung ist, in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt.“ Mit dem Wissen, dass der Nationalsozialismus von breiten Schichten der Gesellschaft getragen wurde, würden heute auch die Täter und Akteure mitten in der Gesellschaft verortet, sagt Weise. So würden heute Künstler und Literaten mit anderen Augen betrachtet, als das noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall gewesen sei.[1]
Ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein war auch in der Vergangenheit nicht Lösels Stärke: Als bei einer Veranstaltung im Stadttheater anlässlich des Holocaustgedenktages 2020 zwei Auschwitz-Überlebende ergreifend von ihrem Schicksal erzählten, glänzte der damals noch amtierende OB Christian Lösel trotz persönlicher Einladung durch Abwesenheit und ließ sich lieber mit einer Schusswaffe beim Schützenverein ablichten. Sogar die überregionale Presse berichtete darüber.
In der hitzigen Debatte um Straßennamen wird momentan ausgeblendet, dass die Initiative zum Umgang mit problematischen Straßennamen keine neue Idee von Ingolstädter Grünen, Linken und SPD ist. In zahllosen anderen Städten und Gemeinden ist man schon wesentlich weiter, teils wurden in den letzten Jahren Straßen und Plätze umbenannt (insbesondere jene mit Hindenburg als Namensgeber) oder Hinweisschilder angebracht. In München beschäftigte sich das Stadtarchiv drei Jahre lang mit 6.177 Münchner Straßennamen. Es wurde eine Liste von über 40 problematischen Namensgeber*innen für eine Umbenennung und 330 mit Kommentierungsbedarf (auf Hinweisschildern) erarbeitet, darunter z.B. auch Richard Wagner. Diese liegt nun einem Expertengremium vor, das eine Empfehlung formuliert, die Ende 2021 dem Münchner Stadtrat vorgelegt werden soll. Wer ein weltoffenes, humanistisches und demokratisches Stadtbild will, kann sich der Auseinandersetzung mit historisch belasteten Namensgeber*innen für Straßen und Plätze auch in Ingolstadt nicht entziehen.