Titelthema: Bauernproteste auch in Ingolstadt – Breite Solidarität mit den Protestierenden
Am 8. Januar begannen auch in Ingolstadt die angekündigten Proteste demonstrierender Bauern, die mit ihren Traktoren den Straßenverkehr beeinträchtigten. Von Verkehrsbehinderung betroffenen Schülerinnen und Schülern wurde die Teilnahme am ersten Unterrichtstag nach den Weihnachtsferien deswegen freigestellt. Auch wenn die Hauptstraßen durch die Konvois erheblich behindert wurden, waren die Demonstrierenden darauf bedacht alle Auflagen einzuhalten und sowohl Rettungsgassen sowie Kreuzungen weitgehend freizuhalten. Kurz nach 14 Uhr war der „Spuk“ an dem Tag vorbei.
Allerdings war dies erst der Auftakt der angekündigten Aktionswoche. Schon am Mittwochvormittag fuhren Landwirte auf fünf festgelegten Routen zu einer Kundgebung nach Ingolstadt. Wie die Polizei mitteilte, kam es durch die rund 400 Traktoren zwar zu Verkehrsbehinderungen, allerdings verzeichneten die Beamten keine größeren Vorkommnisse. Zur zentralen Kundgebung auf dem Ingolstädter Rathausplatz fuhren nur gut ein Dutzend Schlepper. Der große Rest der Teilnehmenden parkte, wie vereinbart, außerhalb der Stadt und wurde mit Bussen zum Protestplatz transportiert. Auf der Kundgebung sprach die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU), Vertreter der Protestierenden, aber auch jeweils ein lokaler Vertreter bzw. Vertreterin der Ampelkoalition. Interessant war, dass sich alle drei – ähnlich wie in vielen ländlichen Gegenden – mit den Protestierenden weitgehend solidarisierten und ihre Anliegen für berechtigt erklärten. Gegen 16.30 Uhr ging die Aktion zu Ende.
Obwohl die Proteste der Landwirte zu teilweise erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen führen, erfahren diese sehr viel Zustimmung. Wie aus repräsentativer Umfrage des ZDF-Politbarometers von 13. Januar 2024 hervorgeht, finden 61 Prozent der Befragten, dass die Proteste nicht zu weit gehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich in diesem Ergebnis auch die allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der aktuellen Politik der Ampelkoalition widerspiegelt. So beklagt beispielsweise auch der Verdi-Chef Frank Wernecke den „unglaublichen Vertrauensverlust“ der Gewerkschaften und kritisiert in einem ungewohnt scharfen Ton die Führungsspitze in Berlin. Die Unzufriedenheit manifestiert sich auch in dem besorgniserregenden Ergebnis. Wenn die Menschen Sonntag wählen würden, so käme die SPD nur noch auf 13 Prozent, die Union auf 31 Prozent, die FDP würde es mit nur noch vier Prozent nicht mehr schaffen und die AfD könnte mit 22 Prozent der Stimmen den zweiten Platz behaupten.
Einige der Demonstrierenden verbinden den Protest mit dem Wunsch nach Neuwahlen. Auch wenn diese Tendenz von der Union mehr oder weniger offen unterstützt wird, kann sie aktuell mit keinem überzeugenden Kanzlerkandidaten ihre Position stärken. So erfährt jeder ihrer drei möglichen Anwärter (Söder, Merz und Wüst) in den aktuellen Umfragen lediglich etwas mehr als 30 Prozent Zustimmung.
Tiefe Sorge bereitet allen Demokraten der Versuch die Proteste durch demokratie- und menschenfeindliche Agitation zu unterwandern. Dies geschieht zum Glück selten. Der Bauernverband selbst distanziert sich von solchen Parolen und viele Bauern zeigen mit Aufklebern auf ihren Traktoren, dass sie sich nicht vereinnahmen lassen. Dies wird so auch im „Bericht aus Berlin“ vom 14. Januar 2024 festgestellt: in keinem der 16 Bundesländer wurden vermehrte Anzeichen auf rechte Unterwanderung beobachtet. Die Schlussfolgerung ist, dass der rechte Einfluss vor allem auf ihre eigenen Meldungen, sie würden etwas vorantreiben, gestützt wird.
Positionierung lokaler Vertreter der Ampel
Wie auch in Ingolstadt am 10. Januar, signalisieren viele lokale Vertreter der Ampelkoalition Unterstützung und Verständnis für die Proteste. Eine Umfrage im Auftrag von „Stern“ zeichnet folgendes Bild: 79 Prozent der Union-Wähler stimmen den Protesten zu, bei der FDP sind es 80 Prozent, bei der SPD sind es 70 Prozent und bei den Grünen sind es 61 Prozent.
Selbst Landwirtschaftsminister Özdemir zeigt Verständnis für die Proteste, die seiner Ansicht nach das Ergebnis der Jahrzehnten langen Versprechungen wechselnder Regierungen sind, die nur teilweise oder gar nicht eingehalten wurden.
Eine Rücknahme der Sparpläne wäre auch im Sinne der Verbraucher, denn die steigenden Preise würden die Inflation der letzten zwei Jahre weiterhin befeuern. Die Bundesregierung steht vor dem Dilemma, dass ein Einlenken das Bild einer chaotischen Hau-Ruck-Regierung verfestigen würde und Wasser auf den Mühlen der Kritiker wäre. Aus dieser Zwickmühle kann ihr eigentlich nur ein Veto des Bundesrats helfen.
Das ist ein Artikel aus der aktuellen Print-Ausgabe…
Kommentar
Klimakleber gegen Bauernproteste
In einigen Städten klebten sich Aktivisten auf die Straßen, um auf eine, aus ihrer Sicht, Ungleichbehandlung der Proteste aufmerksam zu machen. Es trifft zwar zu, dass beide Gruppierungen in den Straßenverkehr eingreifen und diesen behindern. Trotzdem unterscheiden sie sich grundlegend. Denn die Landwirte melden ihre Proteste an, sprechen die Routen mit der Polizei ab, geben Ort und Zeiten bekannt und sorgen für Rettungsgassen. Manch einer sieht die unangemeldeten Aktionen der Klimakleber als gerechtfertigt an, weil sie aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung handeln, während die Landwirte vorgeblich nur ihre eigenen Privilegien im Blick haben. Allerdings machen die Bauern von ihrem im Grundgesetz verankerten Demonstrationsrecht Gebrauch, das nicht von der Bewertung unbeteiligter Dritter abhängig ist.