Der Neil Armstrong der Berge
Reinhold Messner ist der berühmteste Bergsteiger der Welt – Nun hält er in Ingolstadt einen Vortrag über seinen Schlüsselberg „Nanga Parbat“
Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Diese von Holz und Stein geprägten uralten Häuser dominieren immer noch das Dorfbild von St. Peter. Ein kleines Dörfchen im Villnößtal, im Herzen der Südtiroler Dolomiten. Ein paar Hundert Menschen leben aktuell dort. Von weither sichtbar ist der Kirchturm mit den kalkweißen Mauern. In der Nähe des Eingangs hängt eine graue Gedenktafel an der Wand. „RIP“ ist in großen Buchstaben eingemeiselt. Es ist das Epitaph der Familie Messner. Neben den Namen ist jeweils ein rundes Bildchen zu sehen. In dritter Reihe ist ein junger Mann abgebildet. Fast im Profil. Günther Messner steht daneben. Geboren 1946, gestorben 1970 am Nanga Parbat. Die Geschichte von Günther Messner ist eng verwoben mit seinem Bruder Reinhold. Beide hatten die Leidenschaft für extremes Klettern. Günther bezahlte diese mit seinem Leben – Reinhold erging es beinahe genauso als er seinen verschütteten Bruder suchte.
Vom Bauerndorf in die weite Welt hinaus. So könnte die Geschichte der Messner-Brüder lauten. Denn St. Peter ist die Heimat der elfköpfigen Familie Messner. Reinhold ist der Zweitälteste. Die Kletterei bestimmte schon früh sein Leben. An den steilen Nordhänge der angrenzenden Geislerspitzen übte er bereits als fünfjähriger Knirps. Messner – das war deshalb schon früh klar – wollte hoch hinaus. Allerdings sah er das Klettern zuerst nur als Beiwerk. „Ich war eigentlich genauso gepolt wie die lokale Bevölkerung“, erzählt er im Gespräch mit „IN-direkt“. „Ich wollte einen Bauernhof und Selbstversorger werden und nebenbei auch zwei oder drei Expeditionen im Jahr machen.“ Doch für Messner bot sich diese Entwicklungsmöglichkeit, wie er es nennt, nicht. Also fokussierte er sich voll und ganz auf die Leidenschaft Klettern. Aus ihm wurde schließlich der berühmteste Bergsteiger der Welt. Der Neil Armstrong der Berge. Eine lebende Legende.
Alle 14 Achttausender dieser Erde bestieg er als erster Mensch ohne Sauerstoffgerät. Mit unbändiger Willenskraft. Er durchquerte die Einöden der Antarktis, die unendlichen Weiten der Wüste Gobi. Er verschob Grenzen. Und überlebte – teilweise mit Haaresbreite. Als er seinen Bruder eineinhalb Tage suchte, froren ihm sieben Zehen ab.
„Ich habe heute kein Problem mehr über diese Tragödie zu erzählen“, sagt Messner. Trotzdem ist sein Vortrag über seinen Schlüsselberg, wie Messner den Nanga Parbat nennt, ein Vermächtnis an seinen Bruder. „Solange von meinem Bruder erzählt wird, solange er in den Köpfen anderer Menschen lebt, ist er noch in irgendeiner Form da“, sagt Messner. Und Messner beherrscht diese romanhafte Erzählweise perfekt. Er kann in Bildern sprechen. So nimmt er seine Zuhörer mit auf seine Reise in die Vergangenheit. Seine grenzwertigen Erfahrungen füllen deshalb Hallen. „Nanga Parbat“ ist aber unbestritten seine persönlichste Darbietung. „Bei meinem Vortrag können die Zuhörer im Detail erfahren, wie, wo und was passiert ist“, sagt Messner. „Ich versuche also, die Menschen emotional mitzunehmen in eine Welt, die sie normalerweise nicht kennen.“ Bilder runden den Vortrag ab, auf die Messner sehr stolz ist. „Ich hatte noch nie einen Vortrag mit so gutem Bildmaterial. Einige Reisen habe ich nur gemacht, um diesen Vortrag zu bebildern.“ Dabei geht Messner nicht nur auf seinen persönlichen Schlüsselmoment ein, sondern auf die auch sonst tragische Geschichte des Berges, von den Erstbesteigungen über die Dramen in den 1930er-Jahren.
Doch klar ist, der Schwerpunkt bleibt das Schicksal von Messners Bruder. Der heute 78-Jährige erinnert sich noch ganz genau an diese Katastrophe. Günther Messner war ursprünglich gar nicht für die Expedition vorgesehen, rückte lediglich nach. Am Schlüsseltag stieg Günther Messner seinem Bruder nach, der sich im Alleingang zum Gipfel befand. Offenbar ging er dabei über seine körperlichen Grenzen hinaus. „Als er mich eingeholt hatte, habe ich noch nichts gemerkt, dass er Schwächesituationen hätte“, erinnert sich Messner. „Mit dem Erreichen des Gipfels ist sein Adrenalinspiegel wohl abgefallen. Beim Runtergehen, direkt nach dem Gipfel, kam eine Unsicherheit heraus.“ Die Messners mussten umplanen. Die Aufstiegsroute mit den schroffen Felsen wäre zu gefährlich gewesen. Sie entschieden sich über die Diamir-Wand abzusteigen – eine Route, die zuvor noch nicht durchklettert worden war. „Mein Bruder hat am Fuße der Diamir-Wand gewartet, bis ich ihm ein Zeichen gebe oder zurückkomme, um zu sagen, dass ich einen Weg aus diesem großen Gletscher-Labyrinth gefunden habe“, sagt Messner. Dabei passierte es. Eine Lawine ging ab. Diese traf Günther und begrub ihn unter sich. Reinhold Messner suchte eineinhalb Tage nach ihm. Vergebens. „Ich konnte ihn nicht ausgraben“, sagt er. Jahrzehnte später fanden andere Bergsteiger Utensilien und Knochen von Günther, so beispielsweise in diesem Jahr einen Schuh.
Es sind sterbliche Überreste. Doch für Reinhold Messner lebt sein Bruder sowieso weiter – eben in einer anderen Form. In Vorträgen beispielsweise, wenn er über ihn spricht. So trägt er die gemeinsame Geschichte von Beiden in die Welt hinaus. Die Geschichte, die ihren Ursprung in einem kleinen Bauerndorf im Herzen der Dolomiten hatte. (tis)
Zum Vortrag
Reinhold Messner kommt am Dienstag, 18. Oktober ins Ingolstädter Stadttheater. Messners Vortrag „Nanga Parbat – mein Schicksalsberg“ beginnt um 19.30 Uhr. Weitere Informationen und Tickets gibt es unter www.erdanziehung.com oder vor Ort bei Sport-IN (Friedrichshofener Str. 18, in Ingolstadt) und beim DAV (Baggerweg 2, in Ingolstadt).