Diskussion um Fresko im Historischen Sitzungssaal wieder aufnehmen
Ingolstadts zweite Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll hat sich in einem Schreiben an die Stadtratsfraktionen gewandt, um eine Diskussion über das Fresko im Historischen Sitzungssaal des Alten Rathauses anzuregen:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, liebe Kolleginnen und Kollegen,
bereits im Jahr 1995 gab es eine Initiative der damaligen Stadträte Dr. Franz Götz und Gerda Büttner, das im Historischen Sitzungssaal des Alten Rathauses befindliche Doppelfresko „Die Schlacht bei Gammelsdorf‘ durch eine variable Abdeckung zu verhüllen. Der Antrag verlief im Sande, eine förmliche Entscheidung des Stadtrats dazu gab es, wie mir berichtet wurde, offenbar nicht.
Ich würde gerne die Diskussion zu dem Thema wieder aufnehmen, da ich überzeugt bin, dass es an der Zeit ist, den Umgang mit dem historischen Erbe an dieser Stelle zu klären. Bei dem Sitzungssaal im Alten Rathaus handelt es sich um einen Ort für Empfänge, festliche Ereignisse und Begegnungen. Bereits in den vergangenen Jahren habe ich gelegentlich die Erfahrung gemacht, dass Besucherinnen und Besucher – oft wohl auch unter dem Eindruck der martialisch-expressiven Darstellungsweise – nach dem Inhalt des Bildes fragten. Die Erklärung wurde dann meist nicht weiter kommentiert. Jedoch habe ich bislang noch niemand kennen gelernt, der sich positiv über das Gemälde geäußert hätte.
Historische Szenen mit Bezug auf kriegerische Ereignisse sind in Ratssälen nichts Außergewöhnliches. Außergewöhnlich sind freilich hier die steril wirkende Brutalität des größeren Freskos und auch die Entstehungsgeschichte. Das Fresko ist ein Überrest der in den Jahren 1937 bis 1939 entstandenen Festausstattung des Saals und somit Teil eines Gesamtkonzepts, das u.a. eine Reihe von Glasfenster-Bildern zur Verherrlichung der Leistungen des deutschen Heeres im Weltkrieg, von Wehrmachts- und NS- Parteiformationen, „Führerworte“ und Gobelins mit Stadtwappen und Hakenkreuz samt „Siegrunen“ sowie eine Hitlerbüste beinhaltete. Zweck dieses Konzepts war offensichtlich die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen der lngolstädter Stadtgeschichte und der NS-Ideologie, dies im Vorfeld der Aufrüstung des Reichs für den zweiten Weltkrieg.
Die Bayerische Zeitung vom 20./21.5.1939 schrieb dazu: „Die Art, wie beim neugestalteten Rathaussaal in Ingolstadt die stolze Überlieferung der Vergangenheit in Einklang gebracht wurde mit den Grundgedanken des Nationalsozialismus, kann als Muster gelten.“ Der Künstler des Freskos Bruno Goldschmitt (1881-1964) verfügt als Freskenmaler und Buchillustrator über ein gewisses künstlerisches Renommee, war aber bereits seit 1932 Mitglied der NSDAP und soll in einem Brief aus dem Jahr 1935 an den Vorstand der Deutschen Kunstgesellschaft über Juden und Kommunisten geschrieben haben, sie seien ein „eingeschleppter Fäulnisschwamm“, der aus der Kunst des „erwachten Deutschlands“ entfernt werden müsse (Zitat nach Jutta Czeguhn, SZ vom 21.1.1916 nWo Politiker unter einem Nazi-Wandteppich tagen“- zur Diskussion über einen Goldschmitt-Gobelin im Pasinger Rathaus).
Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich tatsächlich die Frage, ob die Idee einer – eventuell auch nur teilweisen – Abdeckung des Doppelfreskos nicht wieder aufgegriffen werden sollte. Hierzu könnte dem damaligen Vorschlag folgend ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben werden, der sich an örtliche und regionale Künstlerinnen und Künstler richtet und sich auch auf die technische Ausführung bezieht.
Klarstellend möchte ich betonen, dass es weder darum geht, die besondere Beziehung des späteren Kaisers Herzog Ludwig IV. zu Ingolstadt oder die Entstehungssage unseres Stadtwappens in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch geht es nicht um die Geringschätzung von Traditionen oder einen überzogenen, realitätsfemen Pazifismus. Vielmehr ist mir die ehrliche Auseinandersetzung mit Geschichte ebenso wichtig wie die Frage, wie eine zeitgemäße Ausstattung unseres bedeutendsten städtischen Repräsentstlonsraums aussehen könnte. Dass dabei auch Belange des Denkmalschutzes berücksichtigt werden müssen, ist selbstverständlich.
Mir ist bewusst, dass es gerade in Pandemiezeiten wichtigere Fragen gibt als die der Ausgestaltung des Historischen Sitzungssaals. Ich würde mich aber dennoch freuen, mit diesem Schreiben einen Diskussionsprozess nicht nur innerhalb des Stadtrats, sondern auch innerhalb der Stadtgesellschaft angestoßen zu haben.
Herr Oberbürgermeister Dr. Scharpf ist als „Hausherr“ über meine Initiative informiert.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dorothea Deneke-Stoll
Bürgermeisterin