Von Geschlechtergerechtigkeit noch ein ganzes Stück entfernt
Das Gewerkschaftshaus am Paradeplatz – es ist am Internationalen Frauentag zu einem bunten Bekenntnis zur Gleichberechtigung geworden. Mit einer farbenfrohen Plakataktion in den Femstern des Gebäudes („Lieber Hälfte Hälfte statt bessere Hälfte“ war da z.B. zu lesen) haben die Gewerkschaften auf die Lage berufstätiger Frauen aufmerksam gemacht, die in etlichen Bereichen noch weiter verbessert werden müsse.
„Von Geschlechtergerechtigkeit sind wir noch ein ganzes Stück entfernt,“ erklärte Steffi Kempe, Bezirksgeschäftsführerin der Gewerkschaft ver.di. Seit 110 Jahren wird der internationale Frauentag begangen, aber Forderungen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit seien immer noch nicht erfüllt worden. Das zeige auch die Lohnlücke zwischen den durchschnittlichen Einkommen von Männern und Frauen in Deutschland. Diese wird sich, wenn es so weiter gehe, erst in hundert Jahren schließen, so Kempe. Die Corona Krise hat außerdem gerade Frauen getroffen, die etwa ein niedrigeres Kurzarbeitergeld bekommen, weil wegen des Ehegattensplittings und der Lohnsteuerklasse 5 von einer niedrigeren Entgeltstufe ausgegangen wird. Weil Frauen im Vergleich zu Männern häufiger geringfügig beschäftigt werden, seien sie außerdem schlechter vor dem Verlust von Arbeitsplätzen geschützt. Zwei Drittel aller Minijobber seien ebenfalls weiblich. „Wir müssen noch vieles erkämpfen,“ so Kempe. Der Weg aus der Corona Krise müsse dazu genutzt werden, die Lage der Frauen zu verbessern.
Der erste Bevollmächtigte der IG Metall Bernhard Stiedl ging ebenfalls auf die Corona Krise ein und erklärte, dass gerade in den systemrelevanten Berufen Frauen arbeiten würden: „In der Pandemie trage die Frauen die schwerere Last und werden auch noch dafür bestraft.“ Zum Thema Frauenquote meinte er, dass er auf jeden Fall dafür sei und eine Diskussion darüber auch gut heiße, es aber mindestens genauso wichtig sei, eine gesetzliche Vorgabe für gleiche Gehälter zu schaffen. Das Argument, dass durch eine Quote schlechter qualifizierte Frauen in Vorstände oder Aufsichtsräte gelangen würden, hält er für unsinnig: „Gerade Frauen sind die mit den besseren Abschlüssen.“ Es müsse Frauen leichter gemacht werden, Beruf und Kinderbetreuung vereinbaren zu können, etwa durch Kitas in den Betrieben. Das große Ziel laute dabei: volle Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen.
Gabi Gabler, kommissarische Vorsitzende der GEW (Gewerkschaft Wissenschaft und Erziehung) Ingolstadt-Eichstätt, vertrat die Gewerkschaft mit dem vermutlich höchsten Frauenanteil. 72 Prozent der Arbeitskräfte in dieser Branche sind weiblich, im Jugendhilfebereich sind es laut Gabi Gabler sogar 86 Prozent. Die Gehälter allerdings, die etwa in den Kitas gezahlt würden, machten Männern keine Lust, den Beruf des Erziehers zu ergreifen. Sie kritisierte den fehlenden adäquaten Gesundheitsschutz sowie die fehlende Wertschätzung: „Wir bekommen nicht den Applaus der Pflegekräfte.“ An den Grundschulen verzeichne man einen sehr hohen Frauenanteil, aber die Zahl der weiblichen Beschäftigten nimmt in den höheren Schulen und Bildungseinrichtungen weiter ab: „Je mehr es um die Kohle geht, desto männlicher wird es.“ Eine Karrierebremse sei dabei die „unterstellte Sorgeverantwortung“ bei der Kinderbetreuung und in der Pflege.
„Mehr Gewerkschaft, mehr Chancengleichheit“ – dieses Motto vertrat Veronika Scharf, Ortsseniorenleitung EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) und Vera Drazan, Gewerkschaftssekretärin der IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) forderte, dass es nach 100 Jahren gelingen müsse, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Dazu gehörten verbindliche Regelungen, die nicht nur für bestimmte Betriebsgrößen gelten. Generell sollten sie auf alle Hierarchieebenen angewendet werden und bei Nicht-Einhaltung sanktioniert werden. Auch sie beklagte einen Rückschritt während der Corona-Krise: „Fast 100 Prozent der Sorgearbeit ist bei den Frauen gelandet.“ Sie forderte neben dem Wegfall des Ehegattensplittings auch die Einführung eines Pflegegeldes analog zum Elterngeld bzw. eine Pflegezeit analog zur Elternzeit – und zwar für beide Geschlechter.
Tamara Hübner, zweite Bevollmächtigte der IG Metall, erklärte: „Das Thema Quote treibt uns alle um. Es ist ein blanker Hohn, dass sich Unternehmen die Quote 0 setzen können.“ Frauen würden bereits bei den Auswahlverfahren benachteiligt, meinte Hübner und betontem wie wichtig Vorbilder, also mehr Frauen in Führungspositionen, seien. „Angela Merkel hat bewiesen, dass Frau auch Kanzler kann.“ Und so seien auch die Frauen in den Gewerkschaften dazu aufgerufen, Vorbilder zu sein.
Gerlinde Bayer, Vorsitzende AK Frauen Oberbayern der IG BAU, betonte, dass sich Frauen in ihrer Branche eine Wirtschaft wünschen würden, die statt Wachstum und Profit ein gutes Leben für alle zum Ziel hätte. Ziel sei auch eine partnerschaftliche Teilung der Arbeit von Männern und Frauen. „Wir fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Abschaffung der Lohnsteuerklasse fünf.“ Jede Menge konkreter Forderungen, die anlässlich des Internationalen Frauentags vorgebracht wurden. Man – oder besser frau – wird spätestens zum Frauentag 2022 genau hinschauen, ob und wo sich etwas verbessert hat.