Über Kompromissbereitschaft und die richtigen Frauen
Mit der Haushaltsdebatte ist das Sitzungsjahr 2020 abgeschlossen. Was war das für ein Jahr – auch in der Ingolstädter Kommunalpolitik! Eine neue Stadtspitze im Rathaus, dazu „Neulinge“ auf beinahe der Hälfte der Stadtratssitze – einfach „durchregieren“ geht nicht. Umso erfreuter ist Oberbürgermeister Christian Scharpf über die Abstimmung zum Haushalt, wie er im IN-direkt Interview verrät.
Der Haushalt für das Jahr 2021 ist durch. Sie Sie erfreut, erleichtert?
Das kann man wohl sagen. Wir haben einen Stadtrat mit zehn Parteien, haben keine Koalitionen und es gab im Detail durchaus auch deutliche Meinungsverschiedenheiten. Wir haben es trotzdem geschafft uns zusammen zu raufen, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu schließen. Dass wir den Haushalt mit übergroßer Mehrheit verabschieden ist ein ganz wichtiges Zeichen in diesen schweren Zeiten auch als Signal in die Bevölkerung, dass der Ingolstädter Stadtrat handlungsfähig ist.
Wenn man die Haushaltsreden davor hört, dann mutmaßt man nicht unbedingt, dass es so deutlich ausgeht?
Manches gehört einfach zum politischen Geschäft dazu, dass man sich auch für die eigene Anhängerschaft noch einmal positioniert. Die Diskussion beim Stellenplan war manchmal ein bisserl schräg, deshalb habe ich auch in meiner Haushaltsrede darum gebeten, etwas sachlicher und differenzierter zu argumentieren. Es war doch ein erklecklicher Anteil an Stellen, der schon vor meiner Amtszeit beschlossen und budgetiert war aber jetzt erst im Stellenplan abgebildet war. Aber das ist nicht die Hauptsache, um die es geht.
Haben Sie das Gefühl, es wird miteinander gearbeitet?
Ja. Das habe ich deutlich gesehen. Es ist der Wille von allen Parteien da, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu schließen. Das ist ganz wichtig und in der heutigen Zeit auch nicht selbstverständlich. Man sieht, dass Demokratien mancherorts erodieren, wo Populisten die Oberhand gewinnen. Das ist Gott sei Dank im Ingolstädter Stadtrat nicht der Fall.
Sie haben des öfteren – auch in der Haushaltsrede – betont, man solle angesichts der Finanzlage nicht allzu schwarz malen. Ingolstadt geht es trotz Corona noch verhältnismäßig gut?
Das ist tatsächlich so. Ich habe mir die Verschuldung Ingolstadts der letzten 40 Jahre angeschaut. Dieser Haushalt ist ja schuldenfrei, aber man braucht kein Hellseher zu sein, wenn man den Transformationsprozess in der Automobilindustrie sieht, den Stellenabbau bei Audi, der Gott sei dank sozialverträglich abläuft, wenn man die Auswirkungen von Corona anschaut, dann werden wir in eine Verschuldung gehen. Damit geht die Welt aber nicht unter. Wir hatten in gut der Hälfte der letzten 40 Jahre immer eine Verschuldung in Ingolstadt, die zum Teil deutlich über 100 Millionen lag. Das wichtigste ist jetzt, zu investieren und antizyklisch zu handeln. Das tun Bund und Freistaat auch. Das ein ganz wichtiges Signal, dass wir auch in der Zukunft wettbewerbsfähig bleiben. Das habe ich in meiner Haushaltsrede deutlich gemacht.
Es wurde eine „Kreditgrenze“ von 100 Millionen beschlossen. Dabei haben Sie klar gemacht, dass man gar nicht wissen kann, wie die Zahlen überhaupt aussehen.
Es ist ja auch nur eine Mittelfristprognose bis 2024. Wir bekommen zum Teil im Wochenrhythmus neue Steuernachzahlungen oder Nachholungen, das schwankt wirklich im zweistelligen Millionenbereich. Da kann ich mich nicht auf eine Summe festnageln lassen. Das war jetzt politisch gewünscht, ich bin da mitgegangen, habe aber auch deutlich gemacht, dass ich es für unrealistisch halte. Das werden wir sehen. Wir berufen jetzt Anfang des Jahres unseren Konsolidierungsrat ein und werden uns mit den Parteien im Stadtrat hinsetzen und schauen, wie wir unseren Haushalt auch für die kommenden Jahre wetterfest machen.
Gerade angesichts des Haushalts in diesem Ausnahmejahr, da hat sich die Verwaltung mächtig ins Zeug gelegt?
Nicht nur zur letzten Sitzung, sondern das ganze Jahr schon über! Das ärgert mich dann tatsächlich, wenn ich vor allem in sozialen Medien lese: die Beschäftigten in der Verwaltung, die tun nichts. Ich muss wirklich sagen, Hut ab! Ich bekomme am Abend E-Mails, ich bekommen am Wochenende Telefonate rein. Da wird hart gearbeitet und nicht auf die Uhr geschaut. Das machen sie nicht zum Spaß, sondern für unsere Bürgerinnen und Bürger, darum geht’s doch. Wir sind für die Menschen da. Wir sind da, um den Menschen zu dienen. Ich weiß nicht, ob so ein Wort überhaupt noch modern ist. Aber deswegen ärgert es mich immer, wenn die Mitarbeiter in der Verwaltung so hingestellt werden, also würden sie eh nichts arbeiten.
Das gilt vor allem auch in der Corona-Krise…
Ja. Da gibt es abendliche Pressekonferenzen des Ministerpräsidenten und am nächsten Tag ist schon wieder alles anders. Dann kommt eine neue Infektionsschutzverordnung am Freitag Nachmittag, die muss dann über das Wochenende eingearbeitet und umgesetzt werden, um am Montag Gewehr bei Fuß zu stehen. Das sind Herausforderungen.
Das Jahr 2020 ist für viele Menschen ein außergewöhnliches. Und für Sie vermutlich ein ganz besonderes?
Dieses Jahr hat vieles auf den Kopf gestellt: Die Wahl zum Oberbürgermeister, der Umzug nach Ingolstadt in einer Zeit, die ein verrücktes Jahr war. Für mich persönlich und die Menschen.
Was begeistert Sie an Ihrer Aufgabe und motiviert Sie jeden Tag aufs Neue?
Das ist das, warum ich auch angetreten bin. Das Schicksal der Stadt mitzugestalten. Mit fällt so viel auf, wenn ich durch die Stadt fahre, wo ich mir denke: da möchte ich ran, das möchte ich etwas anders haben. Da kann die Motivation nicht nach lassen, wenn man für diese Stadt brennt. Am Nachmittag sitze ich mit den Landräten zusammen, denn wir haben auch viele Themen in der Region, wo wir Berührungspunkte haben und zusammenarbeiten müssen. Dafür muss man brennen und das tue ich.
Und auch Sie lernen täglich dazu?
Durchaus. Der Start ist mir leicht gefallen nach 15 Jahren Münchner Rathaus. Ich wusste wirklich, wie Oberbürgermeister funktioniert, aber trotzdem hat man es vor Ort mit speziellen Gegebenheiten zu tun. Aber es fällt mir nicht schwer.
Und die Zusammenarbeit mit den beiden Bürgermeisterinnen funktioniert?
Das funktioniert wunderbar. Die Öffentlichkeit würde sich wundern, wenn sie sehen würde, wie harmonisch wir zusammen arbeiten. Da geht es überhaupt nicht um irgendwelche Parteigrenzen. Wir sind die Stadtspitze und müssen schauen, dass der Laden läuft. Wir sitzen jede Woche zusammen und sind auch sonst ständig in Kontakt. Das läuft wirklich wunderbar, da habe ich die zwei richtigen Frauen an meiner Seite.
Und noch eine Frau hat ihre Amtszeit verlängert. Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle ist nochmal angetreten, das war ja auch der Wunsch im Ältestenrat.
Jetzt haben wir in den wenigen Monaten des neuen Stadtrats die Hälfte der Referentenriege ausgetauscht. Das ist jetzt ein wichtiges Signal der Stabilität. Wir müssen im Frühjahr ja schon in die Ausschreibung für die Stelle gehen, denn Frau Preßlein-Lehle verlängert ja nur um ein Jahr. Das Stadtplanungsreferat ist eines der wichtigen Referate. Wir haben jetzt genügend Zeit uns gut auf die Neubesetzung vorzubereiten.
Weihnachten steht vor der Tür, diesmal durch Corona bei vielen etwas anders. Wie feiert man bei Oberbürgermeisters?
Klassisch im Familienkreis mit den drei Kindern, meinen Eltern und Schwiegermutter. Letztes Jahr waren auch mein Schwager und die Neffen dabei, aber dieses mal funktioniert das nicht. Ist ja auch nicht zulässig. Es wird ein kleineres Weihnachten, aber wenn Sie drei kleine Kinder haben, dann ist Stimmung in der Bude! Für die Geschenke sind sowohl meine Frau als auch ich zuständig. Die Kinder haben Wunschzettel geschrieben, die man nicht alle erfüllen kann, aber wir picken da etwas raus. Gegessen wird dazu ganz bodenständig. Es gibt Bauernwürste und wer die nicht mag, der kriegt Wiener Würstel.
Und welchen Wunsch haben Sie für das Jahr 2021?
Für das nächste Jahr wünsche ich mir, dass dieser Corona Alptraum in erster Linie jetzt mal zu Ende geht und dass die Menschen wieder ihrem normalen Leben nachgehen können, dass wir uns wieder treffen können, das man nach der Arbeit auf ein Bier gehen kann und dass man wieder in den Urlaub fahren kann. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Deswegen ist das die schlimmste Auswirkung von Corona – abgesehen von den dramatischen wirtschaftlichen Auswirkungen. Ich hoffe darauf, dass sich unser Leben wieder normalisiert.