Matthias Schickel: Experte für Vergangenes auf neuem Terrain
„Ich bin sehr angetan von ihm,“ meint Matthias Schickel mit Blick auf Ingolstadts neuen Oberbürgermeister Christian Scharpf. „Er ist halt in der falschen Partei…“ schickt der Schickel augenzwinkernd hinterher. Das ist typisch für den CSU-Stadtrat, der die Dinge gerne mit Humor angeht und aus seiner Sicht völlig unerwartet in das Kommunalparlament gewählt worden war. „Meine Frau war not amused,“ schmunzelt er, „aber sie unterstützt mich total.“ Und so ganz wohl war ihm selbst dabei auch nicht: „Ich dachte, wenn das so ist, wie erzählt wird, dann zerreißen dich die Leute in der Luft.“ Seinen Zwei-Jahres-Plan „hinsetzen-zuhören-Ruhe geben“ brauchte der politische Neueinsteiger („Es war nie mein Ziel, in die Politik zu gehen“), der 2017 vom damaligen OB Christian Lösel erstmals für die Landtagsliste „akquiriert“ wurde, aber nicht in die Tat umsetzen. Die Zusammenarbeit im Stadtrat funktioniert ausgezeichnet und die Stadtspitze sieht er bestens aufgestellt. Alles nette Kollegen: „Man hört ja schon wieder, es sei manch einem zu harmonisch. Aber was wollt ihr denn? Dass wir uns fetzen? Mir ist das harmonische lieber.“ Wenn etwa ein Christian Pauling von den Linken die Schutter in der Altstadt wieder beleben möchte, dann sei das keine linke Ideologie, sondern ein Anliegen, das er begrüße.
Als Geschichtslehrer, promovierter Historiker, Stadtheimatpfleger und Vorsitzender des Historischen Vereins hat Matthias Schickel auch in der kommunalpolitischen Arbeit ein Auge auf die Historie der Stadt. Und er stellt fest, dass die Geschichte derzeit durchaus eine Renaissance erlebt. Daran hätten auch ganz unterschiedliche Christians ihren Anteil: Der ehemalige OB Christian Lösel mit seinem 100-Türme-Programm, BGI-Stadtrat (und Mitglied des Historischen Vereins) Christian Lange mit der Ausstellung „Stadtidentitäten“ und der aktuelle OB Christian Scharpf mit seinem Interesse für die Stadtgeschichte. Letzterer hat mit den Stadtheimatpflegern Tobias Schönauer und eben Matthias Schickel zum Beispiel eineinhalb Stunden allein in der Wunderlkasematte verbracht, um sich alle Details erklären zu lassen. „Wir sind nicht Regensburg, München oder Nürnberg,“ ist sich Matthias Schickel bewusst. Aber die Schätze vor Ort vom Georgianum bis zum frisch sanierten Fleißerhaus („Das ist toll geworden“) könnte man mit mehr Selbstbewusstsein nach außen tragen. Bei einem Thema muss er allerdings den Spielverderber geben: „Wir sind keine Bierstadt!“ Die Verkündung des Reinheitsgebots war lediglich ein Verwaltungsakt. Für ihn ist die Schanz, also die Festungsstadt, das wichtigste Merkmal Ingolstadts. Dazu gehört zumindest historisch auch eine Trennung der Gebiete nördlich und südlich der Donau. Historische „Flanierbrücken“ wie in Würzburg oder Regensburg sucht man daher vergeblich: „Brücken in Ingolstadt verbinden nicht, sondern betonen die Trennung,“ meint Matthias Schickel. Und wer käme schon auf die Idee, auf der „lauschigen“ Schillerbrücke einen Schoppen Wein zu trinken…
Eine Idee, diese Geschichte samt Landesuniversität, der Frankenstein-Thematik und der Herzogstadt, unterhaltsam an die Besucher Ingolstadts zu vermitteln, lässt ihn dabei nicht los. Eine Schülerin der 12. Klasse hatte vorgeschlagen, analog zu den Märchenhütten in der Innenstadt Szenen aus der Ingolstädter Geschichte zu präsentieren. Warum nicht? Mit Hologrammen statt Holzfiguren vielleicht, QR Code inklusive? Matthias Schickel ist ja auch noch Lehrer und stellvertretender Schuldirektor. Im aktuellen Corona-Ausnahmezustand arbeitet er zwangsläufig zusätzlich als Hygienekonzeptersteller oder Prüfungsunterlagen-Organisator: „Glücklicherweise haben wir am Apian-Gymnasium ein fantastisches Kollegium“, meint er. Aber man sei an der Grenze der Belastbarkeit angelangt – vor allem, weil eine zeitliche Perspektive fehle. Andererseits erinnere das schon auch an das Apian-Gymnasium und seine Sanierung. Oder den Abriss. Da muss sich jetzt was tun. Ebenso bei den Kammerspielen: „Ich bin ein glühender Befürworter! Wir brauchen eine Ersatzspielstätte“. Das Heilig-Geist-Spital wird ebenfalls ein wichtiges Thema sein, wenn die Pläne von Stiftungsvorstand Roland Wersch auf dem Tisch liegen. Dass durch die Corona-Krise einige Projekte auf den Prüfstand kommen müssen, ist Schickel klar. „Aber was ich nicht mag, ist das Wort ‚priorisieren‘. Das bedeutet, dass dafür etwas weg fällt.“ Dieses gemeinsam nach Lösungen suchen – darum geht’s in der Kommunalpolitik. Und die Erfahrungen aus seiner Arbeit im Stadtrat könne er nun auch in den Unterricht mit ein fließen lassen – und umgekehrt. Die Überschrift zum entsprechenden Aufsatz von Matthias Schickel könnte dann lauten: „Kommunalpolitik als handfeste Angelegenheit mit einer Prise Humor zubereitet im ideologiefreiem Miteinander.“ Womöglich wäre das sogar ein Motto für das Jugendparlament, das in Ingolstadt eingerichtet werden soll. Schickel ist würde es freuen, wenn es autark agierte, einen eigenen Haushalt und entsprechende Rechte bekäme. Die jungen Leute sollen Politik mitgestalten, meint er, der täglich mit eben diesen jungen Leuten zu tun hat.