Granit Stein: Ein Ingolstädter boxt sich nach oben
Er ist im Nordosten Ingolstadts groß geworden, unweit der Pestalozzischule, wo sich Wohnblock an Wohnblock reiht und Anonymität an der Tagesordnung ist. Seine Kindheit war alles andere als leicht. Er ist erst 16 Jahre alt, als sein Vater stirbt und er zum Beschützer seiner Mutter und der vier Geschwister wird. Er trägt Wut und Hass in sich, er trauert. Doch statt auf die schiefe Bahn zu geraten, hat sich Granit Stein durchgeboxt – im wahrsten Sinne des Wortes: Vor Kurzem hat der 27-Jährige, der in seiner Heimatstadt Ingolstadt, Jugendlichen kostenlos das Boxen beibringt, den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert. Zehn Runden lang stand er Wilmer Gonzalez aus Nicaragua im Ring gegenüber – und am Ende ist er als Europameister wieder nach Ingolstadt zurückgekehrt. Dabei hätte es der zweifache Familienvater so viel einfacher haben können: „Am Ende der ersten Runde hat mich Wilmer Gonzalez mit dem Ellenbogen zu Boden geschlagen“, erzählt Granit Stein. Doch statt einfach liegenzubleiben und den Titel durch Disqualifikation des Gegners zu gewinnen, hat sich Granit Stein aufgerappelt und bis zum Ende durchgehalten. „Nach dem Sturz wusste ich anfangs gar nicht recht, wo ich bin. Die erste Runde zu Ende zu kämpfen, war alles andere als leicht für mich, weil meine Beine mir den Dienst versagen wollten“, erinnert sich der 27-Jährige. Doch mit viel Disziplin kämpft er sich zurück und gewinnt den Kampf. Belohnt wurde er im zweifachen Sinne, denn zusätzlich zum Titel gab es lobende Worte von Sven Ottke, Deutschlands Boxlegende schlechthin, der ihm auch den Gürtel überreichte.
V.l.: Cheftrainer Alexander Haan (Augsburg), Granit Stein und Co-Trainer Ramil Fatulaev (Ingolstadt), Foto: Granit Stein Boxing
Disziplin und Ausdauer – beides spielt im Leben des Profiboxers eine große Rolle. „Als Jugendlicher war ich übergewichtig und habe deshalb Sport getrieben. Fünf Jahre lang habe ich Basketball gespielt. Allerdings waren mir meine Mannschaftskollegen körperlich überlegen, was zur Folge hatte, dass ich trotz regelmäßigen Trainings nur die Bank drücken durfte. Das hat mich auf Dauer frustriert. Durch Zufall bin ich dann zum Boxen gekommen.“ In nur drei Monaten hat der einstige Amateurboxer über zwanzig Kilogramm abgenommen, parallel dazu stellten sich erste Erfolge wie zum Beispiel die bayerische Meisterschaft ein – und Granit Stein hatte Feuer gefangen. Sein Ziel klar vor Augen hat er tagtäglich trainiert. Grundlagentraining, Krafttraining, spezifisches Boxtraining, Sparringarbeit – für Granit Stein ist das inzwischen Alltag. „Durch das Boxen habe ich gelernt, mich zu 100 Prozent auf eine Sache zu konzentrieren. Das hilft mir auch im Alltag“, erklärt der 27-Jährige, der vor zwei Jahren Papa von Zwillingen geworden ist, schmunzelnd.
Im Ring ist er zwar komplett auf sich alleine gestellt, hinter den Kulissen hat Granit Stein aber ein Team um sich, das ihm immer mit Rat und Tat zur Seite steht. In schwierigen Situationen unterstützend zur Seite stehen – das möchte auch Granit Stein und hat deshalb das Boxprojekt BoxING ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Projektes bringt Stein Jugendlichen ab 13 Jahren unentgeltlich das Boxen bei. Doch es geht dabei umso viel mehr als das Kämpfen: „Neben dem Erlernen von Boxtechniken und der Steigerung der Kondition sollen die Jugendlichen den Umgang mit ihren Aggressionen lernen, Selbstdisziplin erlernen und ihre Wahrnehmung in Bezug auf andere Menschen verbessern“, so Stein. „Mir hat das Boxen als Jugendlicher geholfen, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten. Gerade in der Pubertät, in der die schiefe und die richtige Bahn oftmals nur durch einen schmalen Grat voneinander getrennt sind, ist es wichtig, jemanden zu haben, der einen unterstützt, an einen glaubt und im Zweifel auch mal den Kopf wieder zurechtrückt“. Genauso jemand möchte Granit Stein sein. Neben der Arbeit mit Jugendlichen verhilft der 27-Jährige als Personal Trainer auch zur richtigen Form.
Auf seine Ziele angesprochen, antwortet er: „Ich möchte mich nicht auf meinem Titel als Europameister ausruhen, im Gegenteil: Im nächsten Jahr kämpfe ich um den Weltmeistertitel. Gerne würde ich das in meiner Heimatstadt Ingolstadt tun – auch, um den Jugendlichen, denen ich das Boxen beibringe, die Möglichkeit zu geben, sich vor heimischen Publikum beispielsweise im Rahmen eines Showkampfes zu präsentieren“. Granit Stein kämpft – für sich selbst, aber auch für seine Schützlinge. (Max Foerster)