273 Jahre Ingolstädter Stadtratsarbeit gewürdigt
Ja, auch diese Veranstaltung war wegen der Corona-Beschränkungen etwas „sperriger“ ausgefallen als üblich: Im Barocksaal des Ingolstädter Stadtmuseums sind die Stadträtinnen und Stadträte (sowie Ortssprecher Ralf Netter) verabschiedet worden, die allesamt nach der Kommunalwahl kein Mandat mehr erringen konnten oder wollten. Die Sitzplätze waren zugeordnet und auf Abstand platziert, der Händedruck des Oberbürgermeisters musste ausfallen (die Ehrennadel und die Urkunde gabs natürlich trotzdem) und das Gruppenfoto wurde auf die grüne Wiese verlegt.
Dabei ging es hier um 273 Jahre Stadtratsarbeit, die es zu würdigen galt, wenn man alle Mandatsträger und ihre „Dienstjahre“ zusammen zählt, so Oberbürgermeister Christian Scharpf bei seiner Begrüßung. Und abzüglich derjenigen, die abgesagt hatten (Thomas Thöne, Henry Okorafor, Rudolf Geiger, Karl Spindler, Ulrike Hodek und Jürgen Siebicke), waren es immer noch 188 Jahre. Neben 22 Stadträtinnen und Stadträten wurde auch Ortssprecher Ralf Netter verabschiedet, der 18 Jahre lang Ansprechpartner in Brunnenreuth und Spitalhof war. „Sie alle haben sich jahrelang mit Haushaltsplänen, Bau- und Infrastrukturprojekten, Personalentscheidungen, Bildungspolitik oder dem städtischen Kulturleben auseinandergesetzt – immer mit dem Willen, bestmögliche Lösungen für Stadt und Bürgerschaft zu erzielen,“ erklärte der OB. „Es ist unbestritten, dass sich Ingolstadt in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt hat. Und daran hatten Sie alle, die in den vergangenen Jahren dem Stadtrat angehörten, einen maßgeblichen Anteil.“
Geehrt wurden CSU-Stadtrat Rudolf Geiger (der zwar als Nachrücker in der zurückliegenden Legislaturperiode nur kurz im Stadtrat war, zuvor aber bereits 30 Jahre dem Gremium angehörte), Michael Oblinger (CSU), Prof. Michael Wenzel (CSU), Robert Bechstädt (SPD), Thomas Deiser (CSU), Dr. Christoph Lauer (Bündnis 90/Die Grünen), Henry Okorafor (zunächst Grüne, dann parteilos), Peter Springl (FW), Simona Rottenkolber (CSU), Ulrike Hodek (zunächst Linke, dann BGI), Christina Hofmann (CSU), Franz Liepold (CSU), Jürgen Siebicke (zunächst PDS, Linke und dann BGI), Dorothea Soffner (zunächst CSU, dann UDI), Karl Spindler (CSU), Simone Vosswinkel (zunächst ÖDP, dann UDI), Sabine Leiß (SPD), Markus Reichhart (FW), Dr. Gerd Werding (zunächst FW, dann UDI), Ralf Netter (Ortssprecher Brunnenreuth), Prof. Joachim Genosko (CSU), Thomas Thöne (zunächst SPD, dann ÖDP) und Eva-Maria Atzerodt (CSU).
Einen besonderen Dank richtete Christian Scharpf an die ehemalige Stadtspitze, also den ehemaligen Oberbürgermeister Christian Lösel, die Bürgermeister Albert Wittmann und Sepp Mißlbeck: „Sie bleiben dem Gremium in dieser Legislatur als Stadträte erhalten und werden daher heute noch nicht verabschiedet. Dennoch an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für die zurückliegenden sechs Jahre!“ Musikalisch umrahmt wurde die Feierstunde von Tomoko Sato und Yukihiro Shiotsubo von der Simon-Mayr-Sing und Musikschule (die vierhändig am Klavier spielen durften, weil sie im echten Leben ein Paar sind).
Zwei Urgesteine und ein debattierfreudiger Professor
Jeweils 24 Jahre im Ingolstädter Stadtrat vertreten waren Thomas Thöne (OB: „Im Stadtrat lieferte er sich stets spannende Duelle mit der Verwaltung – vor allem zur Geschäftsordnung, als deren profunder Kenner er stets galt.“) und Eva-Maria Atzerodt (OB: „Frau Atzerodt war nicht nur 24 Jahre lang als Stadträtin ehrenamtlich aktiv, sondern soll auch noch Mitglied in mehr als 20 Vereinen und Institutionen sein. Ich bin davon überzeugt, dass sich Frau Atzerodt auch nach ihrem Rückzug aus dem Stadtrat weiterhin so aktiv und großartig im kulturellen Leben unserer Heimatstadt einbringen wird.“). Die beiden waren damit die „Urgesteine“ der Verabschiedung und im Fall von Thomas Thöne gar nicht da oder im Fall von Eva-Maria Atzerodt schnell wieder weg. Die Probe des Mottetenchores stand an…
20 Jahre lang war Prof. Joachim Genosko Mitglied des Stadtrats. Er rückte im Jahr 2000 nach und stand zehn Jahre lang der CSU Fraktion als Vorsitzender vor: „Sehr gerne erinnere ich mich an Debatten, die wir über das Kongresshotel und die Kongresshalle hatten. Mir haben immer Debatten gefallen, wo es hart zugegangen ist, aber ohne zu verletzen. Wir haben hinterher miteinander geredet und ein Bier getrunken,“ erklärte Prof. Joachim Genosko. Die Weihnachts- und Sommeressen des Stadtrats habe er immer als sehr positiv empfunden. Diese parteiübergreifende Miteinander sieht er aktuell schwinden. Die Arbeit im Stadtrat werde zunehmend politisiert und er bedauert, dass es sich nicht mehr um ein „Kollegialorgan“ handelt. Er selbst habe die ersten Jahre seiner Stadtratszeit auf Anraten von CSU Stadtrat Hans Hohenwarter mit zuhören verbracht, um sich in die Aufgabe hinein zu fühlen: „Die eigene Fraktion war überrascht, dass der Professor kein Wort sagt.“ Alle Themen hätten ihre Zeit gehabt, wichtig sei das richtige Timing gewesen und nicht zu vergessen der Kontakt zu den Bürgern: „Man muss sich da schon was anhören.“ meinte Genosko. Aber das gehöre zu dieser Aufgabe. Und wenn es sich um Lob gehandelt hat, war das natürlich auch erfreulich.
Parteiübergreifend zählt er Jörg Schlagbauer, Klaus Mittermaier und Sabine Leiß (alle SPD) zu denen, mit denen er „besonders gut konnte“. Über Peter Gietl (ehemals FW Vorsitzender) meint er sogar: „Wir waren fast ein Dreamteam!“ und auch mit Petra Kleine von den Grünen, mit der er sich etliche Diskussionen im Stadtrat lieferte, vertrage er sich „trotz aller Hackeleien“ gut. „Es ist wichtig, mit allen reden zu können.“ Was sich heute allerdings verbessert habe, ist die Qualität des Kaffees, der während der Sitzungen ausgeschenkt wird: „Bei uns gab es früher fürchterlich schlechten Kaffee. Vielleicht haben die Sitzungen deshalb nicht zu lange gedauert wie heute.“ Also, jetzt ist klar, was bei der nächsten Mammutdebatte zu tun ist…