Kammerspiele – jetzt kann geplant werden
Erregungsgrade, Gretchenfrage und Dinosaurier – die Kammerspiele Abstimmung im Stadtrat sorgte für Diskussionsstoff. Am Ende hat der Ingolstädter Stadtrat mehrheitlich den Start der Planungen für die Kammerspiele auf den Weg gebracht. Der entsprechende Bebauungsplan wurde genehmigt. Ebenso wurde die Bietergemeinschaft blauraum Architekten GmbH/adlerolesch Landschaftsarchitekten GmbH, die den ersten Platz im Realisierungswettbewerb belegt hatte, als das geeignetste Planerteam für die Durchführung des Projektes Kammerspiele bestätigt. Die Geschäftsführung der INKoBau kann nun die Architektenleistungen und Freiraumplanung für den Neubau der Kammerspiele (zunächst bis zur Leistungsphase 3) vergeben.
Der Abstimmung voraus gegangen war eine lange Diskussion, die sich – wie beim Thema Kammerspiele nicht überraschend – durchaus wieder um Grundsätzliches drehte. Zu Beginn aber legte Oberbürgermeister Christian Scharpf ein mehr als deutliches Bekenntnis zu den Kammerspielen ab. „Ein Stadtrat sollte stringent in seinen Entscheidungen sein und nicht einmal hü oder hot sagen,“ meinte er. Hier falle nun eine Grundsatzentscheidung. Als warnendes Beispiel, wie man es nicht machen sollte, nannte der die Münchner Zeltlösung. „Ich habe die Ingolstädter Beschlüsse für logisch und vorbildlich gehalten“, erklärte Scharpf, der auch deutliche Kritik am Nein der Freien Wähler übte (da war er nicht der einzige an diesem Nachmittag). Die Corona Krise reiße Löcher in den städtischen Haushalt, aber er warnte davor, Corona zu nutzen, um sich von unliebsamen Vorhaben zu verabschieden. Erstaunt sei er, dass sich bei Investitionsvorhaben wie dem neuen Parkhaus den der Südlichen Ringstraße niemand aufrege, bei dem das Investitionsvolumen in etwa bei dem der Kammerspiele liege. „Da frage ich mich schon, ob der Grad der Erregung noch verhältnismäßig ist!“ Die Presseerklärung der FW (https://www.in-direkt.de/stadtpolitik/aus-den-parteien/6772/fw-klares-nein-zu-den-kammerspielen/) empfinde er als Geringschätzung der Theatermitarbeiter und Kulturschaffenden. „Jahrelang einstimmig Beschlüsse zu fassen und dann nach einer Forsa Umfrage zu sagen, die Bevölkerung ist gespalten – so könne wir doch nicht Politik machen!“ Die Kammerspiele würden auch dazu beitragen, den Wirtschaftsstandort zu stärken, so Scharpf: „Qualifizerte Arbeitskräfte kommen nicht so gern in eine Stadt, deren größte Sorge der Abbau von Parkplätzen ist.“ Überhaupt: Man solle einem Tiefgaragenplatz nicht die Bedeutung eines Weltkulturerbes beimessen. So appellierte der OB an die Räte: Lasst uns nicht provinziell sein!“ Nach unzähligen Gutachten müsse man endlich die Kammerspiele auf den weg bringen.
Es ertönte Applaus und Jubel von den Zuschauerrängen – und das durchaus noch ein paar mal im Lauf der Sitzung, bis der OB verkünden musste, dass so was eigentlich nicht erlaubt ist. Von da an war Ruhe auf den Rängen, nicht aber im Plenum.
Zunächst verteidigte Stadtrat Hans Stachel (FW) die Ablehnung des Projekts. „Es heißt nicht, wenn man einen Weg begleitet, dass man dem Projekt auch zustimmt.“ Es handle sich mitnichten um eine Geringschätzung der Kulturschaffenden: „Aber wir haben aber die Aufgabe der ganzen Stadt gegenüber und wir tragen auch Verantwortung für das Nein sagen.“ Der Standort sei nicht der große Wurf und viele Fragen wurden bislang nicht zufriedenstellend beantwortet. Zudem passten die Kammerspiele nicht in die aktuelle Haushaltslage.
Christian De Lapuente (SPD) meinte daraufhin: „Wenn man die Menschen in schwierigen Zeiten verunsichern will, dann genau so!“ Es sei die Aufgabe des Stadtrats, zu stabilisieren. Hier ginge es auch um Arbeitsplätze und Unternehmen. „Diese Chance dürfen wir uns nicht aufgrund einer Krise verbauen.“
Hans Achhammer ergriff für die CSU das Wort: „Die CSU stand immer für die Kammerspiele. Aber wir haben immer alles kritisch hinterfragt, weil wir viel Geld ausgeben.“ Den Standort sehe man weiterhin kritisch. „Ich habe persönlich auch Probleme mit dem Standort,“ erklärte Parteikollege Albert Wittmann. „Wir brauchen die Parkplätze ganz notwendig. Der Gegenwert der 96 Parkplätze müssen der Stadt in Rechnung gestellt werden. Die Zahlen gehören auf den Tisch.“ Trotzdem sollten nun die weiteren Planungsaufträge beschlossen werden, damit man wisse, über was entscheiden werden solle, wenn die Projektgenehmigung ansteht. „Wenn alles auf dem Tisch ist, werden wir uns drüber unterhalten.“ Über den Standort explizit entscheiden würde der Stadtrat in dieser Sitzung das erste mal. Nach Meinung Wittmanns sei dabei der Klenzepark als möglicher Standort zu früh aufgegeben worden. Außerdem sorgt sich der CSU-Mann Wittmann um die Bäume, die wegen des Neubaus gefällt werden müssen. Hier könne er den Argumenten von Christian Pauling (Linke) zustimmen (!). Und er erinnerte Grünen-Bürgermeisterin Petra Kleine an deren Wahlkampfaussage: „Es kommt in der Innenstadt auf jeden Baum an.“
Kulturreferent Gabriel Engert stellte unter anderem klar, dass man hier kein weiteres Theater drauf sattle, sondern eine neue Spielstätte für ein bestehendes Theater baue. Und zur sich anbahnenden Standortdiskussion erklärte er, dass der Wettbewerb für diesen Standort ausgeschrieben worden war. Ein neuer Standort würde das gesamte verfahren hinfällig machen: „Standort und Planungsauftrag sind für mich verbunden.“
In diesem Zusammenhang erklärte Achim Werner (SPD), dass der (alte) Stadtrat den planenden Architekten den Standort doch vorgegeben habe. Und dabei sei auch klar gewesen, dass maximal 96 Stellplätze weg fallen würden. Die nun entstandene Diskussion kritisierte er als Stellvertreterdiskussion.
Zur „Gretchenfrage“ Ingolstadts (ja, Goethes Faust wurde in der Kammerspiel Diskussion schon mehrfach heran gezogen) erklärte Markus Meyer (JU) die Abstimmung und machte klar, dass er voll hinter dem Projekt stehe, weil die Kammerspiele eine Flexibilität bei der Generalsanierung des Hämer Baus ermöglichten, eine Zeltlösung die die dümmste aller Varianten sei und man mit diesem Projekt eine „elementare Stadtentwicklung“ erwarte: „Kammerspiele sind kein Luxus, sondern ein notwendiger Ersatz. Kammerspiele ja – machen und zwar jetzt!“
Sepp Mißlbeck (UDI) war da weniger euphorisch. Er stellte den Antrag, ein zusätzliches, praxisbezogenes Gutachten in Auftrag zu geben wegen möglicher statischer Probleme. Der Antrag wurde abgelehnt.
Manfred Schuhmann (SPD) kritisierte noch einmal die FW und zeigte sich erbost über die „Queerschüsse“, die nun kurz vor der Stadtratssitzung an die Öffentlichkeit kamen.
„Theater ist der Ort, in der sich die Gesellschaft nach der Zeit des social distancing wieder finden wird,“ meinte Barbara Leininger (Grüne). Man habe mit den Kammerspielen nun einen überzeugenden Entwurf, sehr guten Standort und an diesem Standort ergebe sich eine großartige Chance, den ganzen Platz zu einem urbanen Ort zu entwickeln. Auch sie kritisierte die Argumentation von Hans Stachel (der sich daraufhin kurz erneut verteidigte), betonte, die Leute lieben ihr Theater und dankte dem OB ausdrücklich für seine Rede.
Ein unkonventionelles Abstimmungsverhalten kündigte Christian Pauling für die Linke an. Man habe beim Kammerspiel Standort große Bauchschmerzen und werden sich neutral verhalten. Eva Bulling-Schröter werde für den Planungsauftrag stimmen, er selbst dagegen. Die Gegenargumente lägen im Standort und in der Art des Baus (Stahlbeton). Hier werde ein Bau auf einen Park gesetzt. Die Linke sähe lieber eine Dezentralisierung des Theaters und einen Bau z.B. im Pius-Viertel. „Eine Zentralisierung auf einen Kern ist eher kleinstädtisch,“ so Pauling. Für die Kammerspiele Planung spräche aber die prekäre Situation am Stadttheater, der gesellschaftliche Wert von Theater und das Prestige für die Stadt.
Klar gegen die Kammerspiele positionierte sich AfD Stadtrat Ullrich Bannert. Einen Prachtbau für 40 Millionen Euro lehne er ab. „Wir haben doch kein Geld mehr und müssen die Kammerspiele auf Pump finanzieren.“ Für ihn sei da unverantwortlich. Schließlich bezweifelte er, dass junge Leute überhaupt noch ins Theater gingen und verglich das Projekt, das keinen Gewinn abwerfe, mit dem Aussterben der Dinosaurier. Ihm schwebe ein Bürgerbegehren vor, um über die Kammerspiele abzustimmen.
OB Scharpf stellte die Argumentation Bannerts in mehreren Punkten richtig und betonte, dass ein Theater nicht rentabel arbeiten müsse: Der Friedhof rentiert sich auch nicht!
Matthias Schickel (CSU) kam sich zu diesem Zeitpunkt vor wie in einem absurden Theater. „Es ist zwingend notwendig, die Diskussion zu Ende zu bringen,“ meinte er. Mit Blick auf Hans Stachel meinte er, dass es keine nomadisierende Freiluftexistenz für das Theater gebeb dürfe. Und an Ulrich Bannert gerichtet erklärte er: „Wer Schule und Theater gegeneinander ausspielt, hat von dem einen keine Ahnung und von dem anderen noch weniger.“ Da Theater sei nicht der Nabel der Stadt, aber das Herz der Stadt. Parteikollege Alferd Grob betonte dazu: „Wir wollen die Kammerspiele, beantragen aber eine getrennte Abstimmung über den Standort (die sich danach aber wie bereits erwähnt erledigt hatte).“ Man wolle aber nicht als Bremser oder Verhinderer da stehen.
Raimund Köstler (ÖDP) stellte die Frage in den Raum, wie viel Theater man sich wo leisten wolle. „Wir haben in der Innenstadt keinen Bedarf für ein weiteres Theater neben dem Hämer Bau.“ Er sein überrascht, dass der Klenzepark wieder aktuell sei: „Wir haben das Gefühl, das Thema soll dadurch wieder auf die lange Bank geschoben werden.“ Köstler regte dazu ein Risikomanagement an sowie eine Abtrennung des Themas „Werkstätten“. Grundsätzlich werde er zustimmen, auch wenn er den Standort nicht liebe. Aber das sei die einzige verantwortungsvolle Entscheidung.
Nicolai Fall (Geschäftsführer INKo Bau) erläuterte den aktuellen Stand des Projekts. Auf der Tiefgarage zu bauen, sei eine sehr intelligente Lösung, weil z.B. Bauherrenrisiken wie Archäologie oder Kampfmittelfunde wegfallen würden. Man nutze im großen Teil die bestehenden Gründungskörper. „Wir haben ein höchst intelligentes Konzept. Ich sehe das ganze Bauwerk nicht so kritisch, wie es oft geschildert wird.“
Bei Angela Mayr (FW) zog diese Argmentation allerdings nicht. „Ich habe mich von Anfang an gegen diesen Standort gewehrt und das tue ich weiterhin,“ meinte die bekennende Kulturfreundin. Sie habe kein Vertrauen in Architekten, Planer und Statiker und nehme sich heraus, dagegen zu stimmen.
Schließlich stellte Christian Höbusch (Grüne) die Gretchenfrage: „Stadtrat, wie hälst du´s mit den Kammerspielen?“ Wenn man nun nochmal über den Stadtort diskutieren würde, wäre das der Tod dieses Projektes.
AfD Fraktion, Freie Wähler (ohne Raimund Reibenspieß, der während der Abstimmung nicht anwesend war), Christian Pauling (Linke) und Sepp Mißlbeck lehnten die Vergabe des Auftrags ab. Bei der Abstimmung des Bebauungsplans gab es noch etwas mehr Gegenstimmen u.a aus der CSU.