Wurzeln in der Ferne: Heimat in Ingolstadt?
Drei Unternehmer, drei Geschichten: Wie migrantische Unternehmer unsere Stadt mitprägen
Zwischen Regalen voller Gewürze, duftendem Brot und unendlich vielen Teesorten führt Muneeb Ahmad seinen „Barg Supermarkt“ mit ruhiger Hand. Der 29-jährige Geschäftsführer aus Peshawar lebt seit 2015 in Deutschland. 2024 übernahm er das Geschäft in Ingolstadt – heute ist es Treffpunkt für viele mit türkischen, arabischen oder pakistanischen Wurzeln.
„Barg“ bedeutet „Blatt“ – und das Sortiment spiegelt diese Vielfalt: Gemüse, halal-zertifiziertes Fleisch aus Frankreich, Alltagsprodukte, Tees. Ahmad legt Wert darauf, dass seine Kundschaft Vertrautes aus der Heimat findet. Vertrauen gewann er durch Qualität und Geduld: Erst probieren, dann bleiben. Doch der Alltag ist herausfordernd: Investitionen, Steuerlast, Verantwortung. Gerade für Frauen sieht er dadurch hohe Einstiegshürden. Ahmad fühlt sich angekommen, wünscht sich aber mehr Bildungsangebote speziell für migrantische Unternehmer.


Auch Alihan Kizilirmak, 30 Jahre alt, teilt diese Einschätzung. Der türkischstämmige Juwelier betreibt „Elaa Juwelier“ in der Harderstraße. Der Ladenname „grüne Augen“ ist eine Hommage an die Augenfarbe seiner Familie. Nach einem abgebrochenen BWL-Studium und einem Juwelier-Crashkurs in Istanbul übernahm er 2015 den Betrieb seines scheidenden Vorbesitzers.


Heute kauft eine vorwiegend türkischstämmige Kundschaft bei Kizilirmak. Vertrauen entsteht durch Ehrlichkeit und sein kostenloses Reparaturangebot, so seine Devise. Die ersten Jahre waren holprig – die Feinheiten des deutschen Steuerrechts und Personalführung lernte er „on the job“. Kizilirmak fühlt sich als „türkischstämmiger Bayer“ gut integriert, Vorurteile erlebte er keine. Arbeit sei der Schlüssel zur Integration, sagt er – fordert aber mehr Gründungsberatung für Migranten. Jungen Menschen rät er: Risiko eingehen, durchhalten. Doch er sieht auch: Unsicherheit schreckt viele Frauen vom Unternehmertum ab.
Imad Al Sharbaji, 42, geht einen stilleren Weg. Der gebürtige Syrer betreibt eine winzige Schneiderei in der Proviantstraße. In Damaskus war er Modedesigner, floh vor dem Bürgerkrieg. Nach einem Sprachkurs arbeitete er sofort als Schneider, zog aus Kostengründen aber bald von München nach Ingolstadt. 90 Prozent seiner Kundschaft sind deutsch – Vertrauen erwarb er durch Qualität und faire Preise.


Doch privat ist seine Lage schwierig: Die Wohnung ist zu klein und nicht geeignet für seinen behinderten Sohn, ein Umzug kaum finanzierbar. Sein sehnlichster Wunsch – die kranke Mutter in Syrien zu besuchen – bleibt unerfüllt. Ohne Mindestverdienst oder Festanstellung kein Pass, keine Wiedereinreise. Al Sharbaji warnt als einziger von den dreien vor der Selbstständigkeit: Zu viele Geschäfte, hohe Fixkosten, teure Beratung. Auch sieht er Frauen eher in familiären Rollen – ein gesellschaftliches Bild, das vieles überdauert.
Drei Unternehmer, drei Wege – und ein gemeinsamer Nenner
Sie alle gestalten Ingolstadt aktiv mit. Doch Integration durch Unternehmertum braucht mehr als Willen: Sie braucht Unterstützung, Verständnis – und strukturelle Entlastung durch Politik und Gesellschaft.
Ankommen ist erst der Anfang-Kommentar von Uli Linder:
Die Geschichten unserer drei Unternehmer erzählen mehr als nur von geschäftlichem Erfolg – sie erzählen von Mut. Unternehmer wie Muneeb Ahmad, Alihan Kizilirmak und Imad Al Sharbaji übernehmen Verantwortung, nicht nur für sich, sondern für Familien, Kundschaft, Mitarbeitende. Sie bauen Brücken zwischen Kulturen, schaffen Arbeitsplätze, stärken den lokalen Handel.
Doch Unternehmertum ist kein Selbstläufer. Gerade Migrantinnen und Migranten stoßen oft auf Hürden – sprachlich, strukturell, finanziell. Hier ist nicht nur Eigeninitiative gefragt, sondern auch eine Stadtgesellschaft, die mitzieht: durch niedrigschwellige Beratung, bezahlbaren Wohnraum, echte Gründungsförderung.
Wer Integration wirklich leben will, muss wirtschaftliche Teilhabe möglich machen. Es geht nicht nur darum, dass Menschen ankommen – sondern dass sie bleiben und mitgestalten können. Dafür braucht es ein Miteinander, das auf Augenhöhe beginnt.
Fotos: Hartmann