Premiere „Fahrenheit 451“
Wenn Bücher gefährlich sind oder was macht die Gesellschaft krank?
Was für eine Vorstellung:
Das Lesen der Bücher und das damit verbundene selbstständige Denken machen die Menschen unglücklich und krank! So die Vorstellung in Ray Bradburys „Fahrenheit 451“, die Andreas Merz für das Stadttheater Ingolstadt auf die Bühne brachte. Vielen ist der filmische Klassiker von Truffaut aus dem Jahre 1966 wohlbekannt. Der Titel bezieht sich auf die Zündtemperatur des Papiers. Denn das ist es, was die Aufgabe der Feuerwehrleute in diesem Stück ist: Bücher zu suchen, um sie zu verbrennen. Denn Bücher zu besitzen, gilt als ein Verbrechen, das rigoros verfolgt wird. Da sie gefährlich sind. Das Lesen zeigt zu viele Meinungen und Möglichkeiten auf. Das verwirrt die Menschen. Es führt zum selbstständigen Denken, antisozialen Verhalten und destabilisiert so das System. Daher müssen sie verschwinden. Sie werden gnadenlos aufgespürt und in einem öffentlichen Schauspiel verbrannt. Einer dieser Feuerwehrleute ist Guy Montag. Seine diffusen, aufkommenden Zweifel werden vor allem auch durch die Begegnung mit der quirligen Nachbarin Clarisse bestärkt. Herrlich dargestellt von Sarah Schulze-Tenberge. Sie wohnt mit ihrem Großvater in einem Haus ganz ohne Fernsehen und stellt unbequeme Fragen.
Die Menschen in Brudburys Welt verlieren sich in der medialen Ersatzwelt, die ihnen eine heile Welt einer großen Familie vorgaukelt. Die vor Glückseligkeit grinsenden Protagonistinnen der staatlichen Werbung erinnern an die Werbespots der 60er Jahre und wirken in ihrem kollektiven, stereotypen Dauerlächeln ziemlich gruselig. Dass das propagierte und verordnete Glücksgefühl, das durch Glückspillen unterstützt wird, auf sehr wackeligen Füßen steht, wird deutlich, als Montag eines Tages seine Frau ohnmächtig vorfindet. Auf seinen Notruf hinkommt kein Arzt, sondern zwei routinierte Helfer, die auf die Behandlung bei Überdosis spezialisiert sind. Sie sind auch in Eile, denn auf sie warten täglich unzählige solche Opfer.
Allerdings ist diese Dystopie nicht allzu weit von unserer Realität: Der Alltag wird bereits jetzt von vielen Unterhaltungsmedien dominiert. Ein kleiner Versuch am Abend zeigte auch, wie leicht die Massen doch zu manipulieren sind. Im Chor fielen viele auch auf die fröhliche Unterhaltung des Entertainers rein.
Eine wahrlich beeindruckende Inszenierung, die von erstem Augenblick an in ihren Bann zieht: Als Peter Polgar in seinem Monolog als Feuerwehrmann Montag mit einem Streichholz ein kleines Licht auf die sonst dunkle Bühne bringt. Das Bühnenbild, ein Haufen Asche, lenkt nicht vom Geschehen ab und gleichzeitig ist es ein starkes Symbol für die Leere, die durch die verbrannten Bücher entsteht. Eine absolut überzeugende Inszenierung, die begeistert, aber auch einen nachdenklich zurücklässt. (HaGa)
Foto: Björn Hickmann