Erziehungsberatung zunehmend herausgefordert
Die fünf Stellen im Bistum Eichstätt treffen immer komplexere Problemlagen an
Die fünf Erziehungsberatungsstellen der Caritas im Bistum Eichstätt – drei davon in ökumenischer Trägerschaft – stehen vor immer größeren Herausforderungen. Nach Mitteilung der Verantwortlichen zeigen sich bei den beratenen Jugendlichen und Familien zunehmend komplexe Problemlagen.
Mehr als ein belastendes Thema
Bei der ökumenischen Erziehungsberatung in Ingolstadt sind deshalb laut der stellvertretenden Stellenleiterin Diplom-Psychologin Dr. Julia Gronauer die Anmeldungen deutlich gestiegen: von 608 im Jahr 2022 auf 723 im Jahr 2023. Auch nähmen die Beratungen nun wesentlich mehr Zeit in Anspruch. „Bei vielen Familien gibt es jetzt mehr als ein belastendes Thema: zum Beispiel nicht nur Schulschwierigkeiten oder depressive Symptome eines Jugendlichen, sondern auch sprachliche Probleme, Fluchterfahrung, ökonomische Probleme, Trennung oder häusliche Gewalt in der Familie“, so Julia Gronauer. Schnell ausgebucht seien auch die sozialen Kompetenzgruppen. An diesen beteiligten sich sowohl Kinder, die häufig in Konflikte mit anderen geraten und Grenzen nicht einhalten können, als auch solche, die schüchtern und zurückhaltend sind. Bei vielen Grundschulkindern mache sich dabei bemerkbar, dass sie in der Coronazeit länger nicht in den Kindergarten gehen konnten „und deshalb nur eingeschränkt soziale Lernerfahrungen gemacht haben“. Zunehmend würden auch Schulen Eltern empfehlen, dass ihre Kinder an solchen Gruppen teilnehmen. Einen deutlichen Anstieg verzeichnet laut der Diplom-Psychologin auch die ISEF-Beratung, Beratung von Fachkräften zur Einschätzung einer möglichen Kindeswohlgefährdung. „Während wir im vergangenen Jahr insgesamt 95 solcher Beratungen hatten, hatten wir heuer in der ersten Jahreshälfte bereits 73, also eine steigende Tendenz“, informiert sie. Dies liegt ihrer Einschätzung nach aber vor allem daran, dass dieses Beratungsangebot bekannter geworden sei und dass die Sensibilität von Fachkräften gegenüber Kindeswohlgefährdung – unter anderem durch Fortbildungsangebote – gestiegen sei.
An der Beratungsstelle für Erziehungs-, Familien- und Lebensberatung Roth-Schwabach von der Caritas und Diakonie gab es laut deren Leiterin Elfriede Schweinzer im vergangenen Jahr sehr viele Krisenanmeldungen, viele instabile Jugendliche, die psychiatrisch auffällig waren und oft parallel zur Beratung bei der Stelle wochenlang stationär in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen wurden. „Dies ist eine noch nie dagewesene Entwicklung. Bereits vor Corona ging es Familien nicht gut, nun aber sind gerade bei Kindern und Jugendlichen psychische Belastungen mit Krankheitswert auf dem Vormarsch“, so Elfriede Schweinzer. Angststörungen, depressive Erkrankungen, Essstörungen und Belastungen bis hin zu Suizidgedanken oder Suizidhandlungen hätten als Anmeldegründe stark zugenommen. Im Jahresbericht der Stelle wird festgestellt: „Der gesellschaftliche Druck wächst und dadurch gelangen viele Familien schnell an ihre Belastungsgrenzen.“
Weltweite Krisen wirken sich aus
Dr. Thomas Schnelzer, Leiter der Erziehungs- und Familienberatung Neumarkt, erfährt in seiner Beratungsarbeit weltweite Krisen als zunehmendes Problem bei seinen Klienten. „Die Krisen scheinen kein Ende zu nehmen. Die einen verlieren an Präsenz wie Corona, andere halten an wie der Ukraine-Krieg und die Klimakrise oder kommen dazu wie der Gaza-Krieg. Dass sich dies nicht zuletzt auf junge Menschen auswirkt, wenn auch unterschwellig, bezweifelt kaum jemand“, so Schnelzer. Nach seiner Beobachtung nehmen Ängste und depressive Befindlichkeiten zu. Bei vielen Jugendlichen gebe es ein Gefühl des Kontrollverlustes, die bestehenden Verhältnisse nicht beeinflussen zu können, „was zu Hilflosigkeit, Resignation, aber auch Wut führen kann“.
Zur Psychologischen Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche Nürnberg-Langwasser kommen neben den üblichen Anmeldungen laut deren Leiter Martin Seger aktuell auch viele Familien, „die beim Allgemeinen Sozialdienst keine Beratungstermine zur Thematik Trennung und Scheidung bekommen, die keine Diagnostiktermine bei Schulpsychologen erhalten, die in der Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie über ein halbes Jahr auf einen Termin warten oder die auf der Warteliste einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin stehen und keine Aussicht auf zeitnahe Termine haben“. Die Familien nutzten das niederschwellige Angebot der Caritas-Erziehungsberatung, um schneller Fachkräfte sprechen zu können. „Oft sollen wir die Wartezeit bis zu Terminen bei anderen Stellen überbrücken. Nicht selten gelingt es auch, mit unseren Angeboten effektive Hilfe zu geben, sodass Anschlusstermine nicht mehr nötig sind oder sich Familien in unserer Stelle so gut aufgehoben fühlen, dass sie weiter bei uns angebunden bleiben wollen.“ Die hohe Nachfrage lässt sich laut Seger auch in Zahlen ausdrücken: „Hatten wir in den vergangenen Jahren im Durchschnitt 300 Anmeldungen im Jahr, sind es bis Ende Juli 2024 bereits 264. Hochgerechnet bedeutet dies eine Steigerung um rund 50 Prozent.“ Die Themen, weshalb die Klienten kommen, seien sehr vielfältig und reichten von hochstrittigen Trennungen über emotionale Probleme bei Jugendlichen bis zu mehrdimensionalen Problemlagen von Familien.
Nennungen aller Gründe für Beratungen haben zugenommen
Bei der ökumenischen Erziehungs- und Familienberatung Eichstätt haben laut deren Jahresbericht 2023 die Nennungen aller Gründe für die Beratungen von jungen Menschen und deren Familien zugenommen. Die Nennungen von „eingeschränkte Erziehungskompetenz“ stiegen von 127 im Jahr 2022 auf 135 im Jahr 2023, die Nennungen von „Belastungen durch Problemlagen der Eltern“ erhöhten sich von 71 auf 83, bei „Belastungen durch familiäre Konflikte“ von 273 auf 313, bei „Auffälligkeiten im sozialen Verhalten“ von 58 auf 64, bei „Entwicklungsauffälligkeiten und seelische Probleme“ von 215 auf 222 sowie bei „ausschließlich schulische oder berufliche Probleme“ von 81 auf 85. Nach den Angaben im Jahresbericht sind zwei oder drei Gründe die Regel.
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- Beratung EB neu: Erziehungsberatung Nürnberg-Langwasser