31. Ingolstädter Literaturtage Auftaktveranstaltung am 19. April 2024 im Alf-Lechner-Museum
Gabriel Engert eröffnete in seiner Funktion als Kulturreferent das letzte Mal die Literaturtage. Er betonte seinen festen Glauben an das Potential der Literatur sowie des Buches, verbunden mit der Hoffnung, dass die Literaturtage auch nach seinem beruflichen Ausscheiden einen festen Platz in Ingolstädter Kalender behalten werden.
Dem bewährten Konzept entsprechend findet ein Festival im Festival statt, das von der diesjährigen Marieluise-Fleißer-Preisträgerin, Lena Gorelik, kuratiert wird. Für die Auftaktveranstaltung lud Gorelik drei junge, zeitgenössische Autorin ein sich der Aussage Fleißers „Für mich ist es die Frauenfrage“ mit einem eigenen Beitrag zu nähern.
Wie würde es Fleißers Olga 2024 in Ingolstadt gehen?
Charlotte Gneuß begann mit einem Schreiben mit dem sich seinerzeit Fleißer an den Oberbürgermeister und die Menschen in Ingolstadt wegen Beschimpfungen und Morddrohungen, die sie erfuhr, wandte. Diese waren die Folge der Skandalinszenierung „Pioniere in Ingolstadt“. Gneuß wendet sich in einer sehr persönlichen Rede fast ein Hundert Jahre später wiederum an den Oberbürgermeister und Menschen in Ingolstadt. Sie stellt fest, dass sich an der Situation der Frauen kaum etwas geändert hätte. Obwohl die Frauen rechtlich gleichgestellt sind, werden sie immer noch in Frage gestellt. Damals hat Brecht mit der Inszenierung „Pioniere in Ingolstadt“ in Berlin einen unglaublichen Skandal provoziert und der Fleißer ein „Kuckucksei“ unterjubelt. Trotzdem wird nicht er sondern ausschließlich Fleißer damit in Verbindung gebracht. Auch Gneuß kennt eben solche Erfahrungen: männliche Kulturschaffende meinen oder haben nach wie vor viel Macht, Frauen in dem Metier zu fördern oder auszubremsen.
Gneuß zieht in ihrer Rede eine fiktive Parallele zwischen der Olga aus Fleißers „Fegefeuer“ und der heutigen Zeit: Die Olga 2024 ist ebenfalls mit 16 Jahren ungewollt schwanger. Gneußs Recherche ergab, dass es in Ingolstadt aus moralischen Gründen keine Möglichkeit gibt einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Gneuß zeigt verschiedene Szenarien auf und stellt die Frage: Können wir sicher stellen, dass Olga 2024 nicht in den Fluss gehen würde?
„Er hat so tief in ihre Leben eingegriffen“
Olivia Wenzel beschreibt auf Goreliks Frage welche Ausgrenzungserfahrungen sie als Frau gemacht hätte, dass sie als Colour-People zunächst rassistisch, dann als „Ossi“ und erst in dritter Linie als Frau wahrgenommen wird.
In ihrem Beitrag geht es zunächst um die Symbolik der Farben Schwarz und Weiß: das Kleine Schwarze ist eher Aufmerksamkeit erregend, während das weiße Brautkleid nicht nur die Reinheit und Unschuld symbolisiert, sondern auch manifestiert von nun an gehöre die Frau dem Gatten.
Anschließend beschreibt sie die Aufarbeitung eines sexuellen Übergriffes: Sie dringt in die Wohnung des Täters ein und sorgt dafür, dass „nie wieder eine Person in so eine Situation geraten wird einen nicht einvernehmlichen Sex in diesen Räumen erleben zu müssen“ Ein Ende, das Hoffnung ausstrahlt, denn im Unterschied zur Fleißer wehrt sich die Protagonistin und sie redet über ihre Erlebnisse mit Freunden.
Frauen haben gelernt sich in der von Männern gemachten patriarchalen Gesellschaft zurecht zu finden
Karen Köhler zeigt die Zwiespalt der jungen Frau sich nach einer Vergewaltigung Hilfe suchend an den Vater zu wenden. Sie möchten seinen Trost, gleichzeitig will sie ihn mit dem, was ihr geschah, nicht belasten. Sie will nicht seine Befürchtung bestätigen, hatte er doch alles dafür getan, dass sie bestens für ihren Trip ausgerüstet ist. Da kann sie ihn ja nicht enttäuschen. Sie beschreibt den Versuch das Leben irgendwie auszuhalten, auch wenn der Körper ein Gefäß ist, das alles speichert. Wie mit dem Signal „das kenn ich“, das ihr Körper signalisiert, umgehen? Wie sich aus dem Trauma, vor dem Staat, Gesellschaft und Familie nicht schützen konnten, befreien? Wie aus dem Tempel der Erfahrungen wie ein Schmetterling aus einem Kokon zu schlüpfen? Nach dieser Metamorphose wird ihr bewusst wer der eigentliche Sieger ist, denn wie armselig ist der Täter, um für einen einsamen Orgasmus auf den „Schmetterling zu schießen“. Es gilt das Verhältnis vom Körper und dem Ich auszuloten und sich selbst mit Zärtlichkeit zu begegnen. Durch Selbstermächtigung dem entgegen zu wirken, das Frauenkörper immer von außen bewertet werden: zu dick, zu dünn, zu jung, zu alt…
Vergleicht man die Situation der Fleißer mit der heutigen, dann ist festzustellen, dass sich das Sprechen darüber verändert hat.
Gorelik stellt an die Autorinnen eine abschließende Frage, was ihnen hinsichtlich der Situation der Frauen Hoffnung macht. Es ist vor allem das veränderte Narrativ, das gesellschaftliche Probleme nicht mehr im Privaten verborgen werden, benannt. Und es sind Abende wie eben dieser, auch wenn die archaische Ebene noch lange nicht dadurch überwunden ist.
Bildinformationen
- Literaturtage: Lydia Halbhuber-Gassner