Corona-Demonstrationen – Kontra
Corona-Demonstrationen, Kontra
Frau Bulling-Schröter, Herr Pauling, die Demokratie lebt von Meinungsvielfalt.
Bulling-Schröter: Das ist richtig. Wenn Menschen ihre Meinung und auch ihren Unmut äußern, ist das erst einmal gut und wir unterstützen das immer.
Trotzdem sehen sie die Corona-Demonstrationen kritisch.
Pauling: Ein Teil der Argumente und ein Teil der Ängste sind legitim, beziehungsweise aus subjektiver Sicht sogar nachvollziehbar. Allerdings muss man sehr deutlich differenzieren. Denn auf den Demonstrationen vermengt sich Vieles: von abstrusen Theorien, bis Rassismus und Radikalismus. Dass beispielsweise unsere Institution derart delegitimiert wird, ist absolut kritisch. Das ist sogar brandgefährlich. Und genau da ist eine rote Linie überschritten.
Bulling-Schröter: Wir haben dazu die Sorge, dass sich immer mehr Menschen instrumentalisieren lassen, beispielsweise von rechten Gruppierungen.
Was kann man gegen die zunehmende Radikalisierung und Instrumentalisierung tun?
Bulling-Schröter: Nur aufklären. Wir haben keine andere Chance.
Treten Sie deshalb als Sprecherin bei Gegendemonstrationen auf?
Bulling-Schröter: Als Sprecherin von „Ingolstadt ist bunt“ weiß ich, dass sich viele Rechtsradikale unter den Corona-Demonstranten befinden. Das soll nicht heißen, dass alle Rechts sind. Aber es gibt einen Spruch: „Ich demonstriere nicht mit Nazis.“ Das bedeutet: Selbst wenn ich Kritik an der Impfpflicht und gegenüber der Politik habe, laufe ich bei solchen Demonstrationen nicht mit. Das sehe ich als meine Aufgabe, die Menschen darauf aufmerksam zu machen.
Dann sehen Sie eine mögliche Impfpflicht auch differenziert?
Pauling: Persönlich bin ich absolut für das Impfen. Aber man muss den Leuten auch zugestehen, wenn sie es nicht sind. Selbst wir haben parteiintern eine widersprüchliche Meinung dazu. Man kann dieses Thema nicht Schwarz/Weiß sehen. Ja, eine mögliche Impfpflicht hilft dem Gesundheitssystem. Allerdings verhält sich eine Impfung nicht so wie bei Masern, wo eine Impfung den Virus verhindert. Wir wissen also nicht, ob eine Impfung gegen mögliche potenzielle Erreger im Herbst hilft. Wie soll man dann eine Impfpflicht durchsetzen? Dazu finde ich es sehr kritisch, über Freiwilligkeit zu reden und dann einen Zwang einzuführen, wenn man nicht freiwillig agieren kann. Dann war es von Anfang an keine Freiwilligkeit. Und an diesem Punkt sehe ich eine große Gefahr einer Radikalisierung.
War das eines der Fehler der Politik?
Pauling: Da sind viele Fehler passiert. Persönlich vermisse ich beispielsweise auch eine selbstkritische Haltung der Politik, beispielsweise dort, wo korrumpiert wurde. Da fehlen sichtbare Konsequenzen. Die Leute müssen sehen, dass etwas passiert. Dass die Kritik ernst genommen wird und die Fehler aufgearbeitet werden. Das Vertrauen ist schneller verspielt als es wieder aufgebaut wird.
Bulling-Schröter: Dazu finde ich die Grundannahme falsch, dass die Gesundheit eine Ware ist. Perspektivisch müssen wir ein Gesundheitssystem schaffen, in dem sich alle wohl fühlen und in das alle Vertrauen haben, von den Pflegekräften bis zu den Patienten.
Zu den Personen
Eva Bulling-Schröter (66) war für „Die Linke“ von 1994 bis 2002 und von 2005 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und ist seit Jahren Kreisvorsitzende. Bei den Kommunalwahlen in Bayern zog sie vor knapp zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Christian Pauling (31) in den Ingolstädter Stadtrat ein.
Ein Artikel aus der IN-direkt Print Ausgabe https://issuu.com/in-direkt/docs/2022_kw_09_in-direkt-web
Bild: Corona-Demo