„Krieg ist keine Lösung“ – Friedenskundgebung in Ingolstadt
Bei einer Friedenskundgebung auf dem Ingolstädter Paradeplatz solidarisieren sich am Samstagabend rund 800 Menschen mit der Ukraine – Zehn Redner – über alle Parteigrenzen hinweg – verurteilen das russische Vorgehen
Das Smartphone hat Anna Rapp immer in der Hand. Es ist quasi ihr ständiger Begleiter. Laufend erhält sie neue Nachrichten. Informationen ihrer Freunde und vor allem ihrer Eltern aus der Ukraine. Vor rund sechs Jahren kam die junge Frau mit ihren Eltern nach Deutschland. Seither lebt sie in Ingolstadt. Doch ihre Mutter und ihr Vater sind vor wenigen Tagen in die Ukraine gereist und wollten dort Urlaub machen. Nun kommen sie nicht mehr zurück. Die Sorgen sind groß. Die Gedanken kreisen immer um ihre Lieben in der Ukraine. „Es ist eine Katastrophe, was dort passiert“, erzählt sie. „Putin ist ein Verrückter. Die Ukraine will doch nur ein besseres Leben haben. Aber er will wieder die alte Sowjetunion zurück.“
Valentyna Kryvets geht es ähnlich. Ihr Bruder lebt in Kiew. Sie hat über ihn erfahren, wie sich dort die Menschen verbarrikadieren, verstecken, Schutz suchen und vor den Kriegswirren fliehen. Mit ihrem Mann lebt sie seit zehn Jahren in Ingolstadt. Er ist Russe. „Es ist eine schwierige Situation“, sagt sie. Denn ihr Lebenspartner schaut russisches Fernsehen. Und genau dort verbreitet der russische Staatspräsident und Kriegstreiber Wladimir Putin seine Propaganda. „Im russischen Fernsehen kommen nur Lügen“, schimpfen deshalb Rapp und Kryvets.
Für die beiden Frauen war des deshalb selbstverständlich, am Samstagabend auf die Straße zu gehen. Bei der Kundgebung „Solidarität mit der Ukraine“ kamen rund 800 weitere Menschen auf den Ingolstädter Paradeplatz. Viele hatten Transparente und Plakate dabei. „Putin! Hände weg von der Ukraine“, stand beispielsweise darauf, oder „Stopp Krieg!“ oder „No War“. Es war eine friedliche Kundgebung, mit Schweigeminute am Ende und einem klaren Signal: Krieg ist keine Lösung und einer Forderung nach Sanktionen. Ein klares Ja zur Demokratie, und ein entschiedenes Nein zu Despot Putin.
Redner quer über alle Parteien hinweg solidarisierten sich deshalb mit der Ukraine. „Wir verurteilen das Handeln Russlands“, sagte Dorothea Deneke-Stoll, die zweite Bürgermeisterin Ingolstadts. „Gewalt kann nie eine Lösung sein.“ Dass eine Großmacht ein europäisches Land überfiele, sei seit Ende des kalten Krieges unvorstellbar. „Wir fühlten uns sicher – Kriege gehörten der Vergangenheit an oder sie waren lokal begrenzt und weit weg.“ Keiner wisse nun, wie sich die globalpolitische Lage verändern würde, welche Auswirkungen die jetzige Auseinandersetzung auf unser Leben hier in Deutschland haben werde. „In erster Linie denken wir an die Menschen in der Ukraine, die unmittelbar vom Krieg betroffen sind“, sagte Deneke-Stoll. „Putins Krieg ist auch ein Angriff auf die Demokratie und die Freiheit.“ Ingolstadt müsse sich deshalb solidarisieren, klar positionieren und spürbare, wirkungsvolle Sanktionen fordern. „Wir können aber auch praktisch etwas für die vom Krieg betroffenen Menschen tun“, sagte Deneke-Stoll. „Wir rechnen damit, dass viele Menschen aus dem Kriegsgebiet fliehen werden.“ Humanitäre Hilfe sei nun erforderlich.
„Wir setzen heute ein klares Zeichen, dass Krieg und Gewalt keinen Platz haben. Nicht nur in Europa, sondern nirgends auf der Welt“, sagte der Kreisvorsitzende der CSU, Stefan Huber. „Die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik steht Seite an Seite mit dem Volk in der Ukraine.“
„Heute müssen wir in Deutschland zwei bittere Wahrheiten anerkennen und aussprechen“, sagte Stadtrat Markus Meyer. „Europa hat der Ukraine in der Vergangenheit zu wenig Hilfe geleistet. Wir müssen jetzt alles tun, was wir überhaupt noch tun können. Dazu gehört das starke gemeinsame Signal heute Abend.“ Zweitens sei die Russland-Politik der EU und Deutschlands krachend gescheitert. „Alle Parteien haben katastrophale Irrtümer begangen.“ Meyer forderte daher die zeitweise Aussetzung der Schuldenbremse, um Leben zu retten, Wirtschafts- und Sozialsysteme zu stützen. „Jetzt beginnt eine Zeitenwende in der europäischen Sicherheits- und Energiepolitik.“
Jana Jergl von der Seebrücke Eichstätt-Ingolstadt erinnerte an die aktuellen Corona-Demonstrationen. „Ein Hinweis an alle selbsternannten Widerstandskämpfer in Deutschland: Wer jetzt noch davon redet, dass wir in einer Diktatur leben, hat nichts verstanden“, sagte sie. „Wer jetzt noch die Situation in Deutschland mit 1933 vergleicht, während Menschen sterben und in Russland trotz Lebensgefahr protestieren, hat unsere Wut mehr als verdient. Schämt euch.“
Jakob Schäuble forderte mehr Friedensfalke statt Friedenstaube. „Wir müssen einen Paradigmenwechsel einleiten und ein freies Ukraine verteidigen.“
„Russland provoziert mit der Eröffnung dieses Angriffskrieges sehenden Auges eine weitere Eskalation militärischer Gewalt, die jederzeit völlig außer Kontrolle geraten kann“, sagte Tamara Hübner, zweite IG-Metall-Bevollmächtigte. „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern die russische Regierung auf, unverzüglich alle Angriffe einzustellen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen und deren territoriale Integrität wiederherzustellen.“ Es bräuchte ein neues Verständnis von Sicherheit. „Wir können die globalen Probleme von heute nur gemeinsam lösen. Dafür braucht es eine Politik der gesamteuropäischen Kooperation“, sagte Hübner.
„Der Welt ist es nicht egal, was in einem anderen Land passiert und setzt sich für Frieden ein“, sagte Stadtrat Christian De Lapuente (SPD). „Im 21. Jahrhundert sollte man sich nicht mit Waffen schlagen, sondern am Verhandlungstisch. Aber die Staatsoberhäupter von gestern sind wieder ins 19. Jahrhundert zurückgefallen.“ Deeskalation sei deshalb das Gebot der Stunde. „Alle Beteiligten, aber voran Russland, müssen die glaubwürdige Bereitschaft zeigen, zu einer Politik des Dialogs zurückzufinden“, sagte De Lapuente. „Krieg ist keine Lösung.“
Der Bundestagsabgeordnete Leon Eckert (Grüne) erwartet eine scharfe politische Reaktion aller europäischen Länder. „Denkbar ist ein gemeinsames Sanktionspaket“, sagte Eckert. „Es ist Krieg in Europa. Ein Satz, von dem ich gehofft hatte, dass ich ihn zu meiner Lebzeit nie hören und sagen muss“, sagte Sarah Eichberg vom Kreisvorstand der „Linken“.“Der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen. Wir müssen hin zu einem globalen Pazifismus und zu Abrüstung und weg von Nationalismus, Revanchismus, Hass und Hetze. Es gibt keinen Weg zum Frieden, weil Friede der Weg ist.“
„Dass wir als Gesellschaft bereit sind Opfer zu bringen, kann man deutlich an einem hier vor Ort gezeigten Transparent sehen: Lieber frieren, als mit Blut heizen“, sagte Stadtrat Raimund Reibenspieß (FW). „Putin sagt, er hat keine Angst vor Europa und der Nato. Das kann ich nachvollziehen, denn die europäische Union ist kein Aggressor vor dem man Angst haben muss. Aber etwas anderes macht Putin Angst – die Werte, auf denen unsere Demokratie fußt.“ Eine frei gewählte ukrainische Regierung sei für einen selbstherrlichen Autokraten eine Bedrohung, aber nicht für das russische Volk. „Die weltweiten Demonstrationen mögen dazu beitragen, dass die Souveränität der Ukraine wieder hergestellt wird“, sagte Reibenspieß. Auch er forderte, wie alle anderen Redner, Verbundenheit und Solidarität mit der Ukraine.
Das hoffen natürlich auch die beiden Ukrainerinnen Rapp und Kryvets. Aber solange der Krieg in ihrem Heimatland wütet, wird ihr Smartphone der ständige Begleiter sein. Damit sind sie wenigstens mit ihren Freunden und Verwandten eng verbunden und wissen, ob es ihnen gutgeht. Allerdings wächst mit jedem Bild, mit jedem Video, das sie aus den Kriegsgebieten erhalten, die Wut und Trauer auf den russischen Despoten Putin nur noch weiter.
Fotos: Timo Schoch