Heilpraktiker Wolfgang Grayer befürchtet Abschaffung seines Berufs
Berufsverbot. Ein Begriff, der in der Corona-Krise immer wieder gefallen ist. Und die Krise hat die verheerenden Folgen für ganze Branchen aufgezeigt. Aber während mit dem Ende der Pandemie auch Arbeitsverbote wieder aufgehoben werden, befürchtet eine Branche in Deutschland, dass ihr Beruf sogar grundsätzlich verboten werden könnte: Die Rede ist von den Heilpraktikern. Und dieses Aus hat nichts mit Corona zu tun.
Wolfgang Grayer ist seit 25 Jahren als Heilpraktiker in Ingolstadt tätig und sieht einen ganzen Wirtschaftszweig in Gefahr. Der einflussreiche „Münsteraner Kreis“, der aus 17 Wissenschaftlern besteht und von Bettina Schöne-Seifert, Professorin für Medizinethik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angeführt wird, hat in einem Memorandum 2017 erklärt: „So sollten aus unserer Sicht Verfahren der Alternativmedizin überhaupt keinen Platz in der wissenschaftsorientierten Versorgung haben, da dies als wissenschaftliche ‚Adelung‘ des gerade Nicht-Wissenschaftlichen erscheinen muss, und zwar selbst dann, wenn diese Verfahren lediglich ergänzend eingesetzt werden.“ Gefordert wird darin, den staatlich geschützten Beruf des Heilpraktikers zu annullieren. Heilpraktiker sollen offensichtlich als „Gefahr für die Volksgesundheit eingestuft werden. Die „Münsteraner“ setzen sich seitdem für die Abschaffung eines ganzen Berufszweigs ein – mit wachsendem Erfolg, denn das Thema befasst inzwischen Gesundheitsministerium und Bundestag.
Für Heilpraktiker wie Wolfgang Grayer ist das ein Schlag ins Gesicht. Seit einem Vierteljahrhundert behandelt er in seiner Praxis für Naturheilkunde Patienten, die ihn meist dann aufsuchen, wenn sie mit der klassischen Schulmedizin nicht weiter kommen. Und dann kann er etwas bieten, das woanders fehlt: Zeit. Das Erstgespräch mit dem Patienten dauert eine Stunde: „Ich kann den Umgang mit dem Patienten frei planen, die Behandlung ist nicht genormt und nehme mir auch mal zwei Stunden Zeit,“ so Grayer. Dieser Zeitfaktor sei das „Gold“ seines Berufsstandes. „Wir müssen außerdem keine Budgets beachten.“ Der Patient ist derjenige, der den Behandlungserfolg honoriert und die Branche dadurch quasi reguliert. Die Therapien und Sitzungen müssen nämlich überwiegend selbst bezahlt werden: „Bei unwirksamen Verfahren bist Du spätestens nach einem halben Jahr Pleite!“
In Deutschland praktizieren derzeit ca. 150.000 niedergelassene Heilpraktiker, die jeden Tag von mehreren Hundert Tausend Patienten aufgesucht werden. Pro Jahr vertrauen Millionen Deutsche auf die sogenannte alternative Medizin. Würden da jährlich tausende Todesfälle wie von Kritikern behauptet auf die Rechnung der Heilpraktiker gehen, dann sollte sich das nicht zuletzt in der Versicherung nieder schlagen, aber: „Ich zahle keine 200 Euro für meine Berufshaftpflicht.“
In den Medien würden Heilpraktiker oft nur in Zusammenhang mit negativen Schlagzeilen genannt, kritisiert Wolfgang Grayer. Zuletzt sah man das an dem Fall aus Schrobenhausen, wo Krebspatienten mit unwirksamen Mitteln behandelt wurden. Ein klarer Fall von Betrug – auch für Wolfgang Grayer. Wenn jemand gegen Vorschriften verstößt oder sogar betrügt, dann sei das selbstverständlich eine kriminelle Handlung. Aber nicht allein deshalb, weil sie von einem Heilpraktiker begangen wurde. Auch ein Arzt würde dafür belangt werden. Ihn ärgert die Vorverurteilung einer ganzen Branche – auch durch die Medien: „Immer, wenn etwas passiert, sind es gleich alle Heilpraktiker.“ Wie in allen anderen Berufen auch gäbe es unter seinen Berufskollegen einzelne schwarze Schafe und manche esoterische Strömung sei durchaus kritisch zu betrachten. Aber für Heilpraktiker gelten z.B. die selben baurechtlichen wie auch hygienerechtlichen Vorschriften wie für Arztpraxen. Da gibt es keinen Spielraum. Hygienemängel und Co. müssen geahndet werden – vorausgesetzt, sie werden überhaupt entdeckt: „Ich hätte nichts gegen Kontrollen durch die Gesundheitsämter,“ erklärt Wolfgang Grayer. Und auch die Ausbildung, die in die Kritik geraten ist, weil es nur eine vorgeschriebene Abschlussprüfung gibt, soll reformiert werden. An einer geregelten, einheitlichen Ausbildung arbeitet derzeit die Initiative für Qualitätssicherung im Heilpraktiker-Beruf (IQHP).
Wie sieht ein neues Heilpraktikergesetz aus oder wird es ganz gekippt? Dürfen Heilpraktiker ihren Beruf weiter ausüben? Oder wird die Prüfung zum Heilpraktiker abgeschafft? Könnte der Heilpraktiker künftig nur noch Patienten nach einer Überweisung durch den Arzt behandeln dürfen? Es sind viele Fragen offen. Eine Entscheidung über die Zukunft der Branche soll nach mehrfacher Verschiebung nach der Bundestagswahl fallen. Wolfgang Grayer beobachtet die Diskussion natürlich weiter, in der auch damit argumentiert wird, dass es nur in Deutschland diesen einen zweiten Beruf gäbe, „der neben den Ärzten Diagnosen stellt und behandelt.“ Eine EU weite, einheitliche Regelung zu fordern ist für ihn ein Totschlagargument: „Stattdessen sollte man stolz darauf sein, dass es diesen Beruf als Alternative bei uns gibt.“ Wenn es nach ihm ginge, müsste man an der derzeit geltenden Gesetzeslage nichts ändern. Dann könnten er und seine Kollegen weiter ihrem Beruf nachgehen – nicht in Konkurrenz zu den Ärzten, sondern als Ergänzung: „Ich rate den Patienten: Mach es, es wird Dir gut tun. Aber ich sage auch, gehe weiterhin zu Deinem Arzt.“