DMMI: Vom „schäbigen Rest“ zum Museum europäischen Ranges
Als junger Stadtrat war er damals dabei, als in Ingolstadt der Entschluss fiel, ein medizinhistorisches Museum einzurichten. Alt-Oberbürgermeister Peter Schnell, der 1973 als frisch gewählter Oberbürgermeister das Museum mit eröffnete, erinnerte in seiner Ansprache zur Wiedereröffnung der Alten Anatomie an jene Anfangszeit. Ein „schäbiger Rest“ der Alten Anatomie sei damals übrig gewesen und die Ingolstädter hätten sich nicht darum gekümmert. Erst ein Aufbruch von außen durch Prof. Dr. Heinz Goerke („Er hat erkannt, dass hier ein Juwel poliert werden kann“) hat das geändert und der Stadtrat stellte schließlich die Mittel für das Museum und dessen Unterhalt bereit: „Die Stadt ist dafür reich beschenkt, ich möchte sagen beglückt worden.“ Die Eröffnung der sanierten Alten Anatomie mit seiner neuen Dauerausstellung sei daher ein „Tag der Freude“, so Peter Schnell.
Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll ging auf die Vorbildfunktion des ersten medizinhistorischen Museums der Bundesrepublik ein: „Hier hat sich nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein wissenschaftliches Kleinod entwickelt.“ Und sie hob auch die Bedeutung des Museums in der aktuellen Corona-Pandemie hervor. Museumsleiterin Prof. Marion Maria Ruisinger sei gerade jetzt ein gefragter Ansprechpartner, wenn es um den Blick in die Medizingeschichte und die Geschichte von Seuchen gehe.
„Das Museum ist eines der wichtigsten medizinhistorischen Museen in Europa – nicht nur wegen der Ausstellung, sondern auch wegen seiner Sammlung“, erklärte Kulturreferent Gabriel Engert, der nun nach dem neuen Fleißer-Museum das nächste Ingolstädter Museumsprachtstück eröffnen durfte. „Der Glanz des Museums trägt zum Glänzen der Stadt wesentlich bei,“ meinte er. Lobende Worte gab es auch vom zweiten Vorsitzenden des Museumsfördervereins, Dr. Andreas Sarropoulos, der bei seinem Umzug nach Ingolstadt vor zehn Jahren das Museum entdeckte: „Es hat schon immer eine herausragende Stellung eingenommen, auch als Publikumsmagnet.“ Und ja: Das Deutsche Medizinhistorische Museum ist das Museum mit den meisten Besuchern unter Ingolstadts Museen. Tobias von Wolffersdorff (Gestaltungsbüro Thöner von Wolffersdorff) bezeichnete die Alte Anatomie als ein Schmuckstück und auch auf dem Balkon ließen sich wohl herrlich Getränke schlürfen (wenn man außer Acht lässt, dass man ihn einst zur Kühlung von Leichen nutzte). Apropos Leichen – auf die war ja auch der berühmteste (aber erfundene) Student in der Alten Anatomie angewiesen: Viktor Frankenstein. Die Gestaltung „seines“ Ausstellungsraums hielt auch für die erfahrenen Museumsgestalter eine Überraschung bereit: Das Raumthermostat sitzt mitten auf der Nase Frankensteins… aber das gilt es nun vor Ort zu erkunden.
Museumsdirektorin Prof. Marion Maria Ruisinger dankte bei der Eröffnungsveranstaltung ihrem Team und allen an der Dauerausstellung Beteiligten. Und sie erläuterte den Gästen der Eröffnungsfeier im Rudolf-Koller-Saal (im Museum gibt es angesichts der Corona-Regeln keinen geeigneten Raum) den Aufbau der neuen Dauerausstellung – eine Führung war wegen der räumlichen Enge nicht möglich. „Ich bin mir sicher, dass unsere Dauerausstellung einen längeren Atem hat als Corona,“ erklärte sie.
Neue, ungewohnte Perspektiven will das Museum nach fünfjähriger Sanierung und Neu-Konzeption aufzeigen. Deshalb hat man sich auch von der klassischen Chronologie der Medizingeschichte verabschiedet. Im Gästebuch war immer nur zu lesen, dass man in der besten aller Zeiten lebe. Das zu vermitteln, sei nicht Aufgabe eines Museums: „Jede Zeit war mit ihrer Medizin zufrieden.“ Stattdessen geht es schwerpunktmäßig nun um die Medizin des 18. Jahrhunderts, also der Zeit, in der die Alte Anatomie „in Betrieb“ war und um einzelne „starke Dinge“ aus der Sammlung, die insgesamt 15 000 Objekte umfasst. Im ersten Stock begegnet dem Besucher die medizinische Welt des 18. Jahrhunderts mit seiner Vier-Säfte-Lehre, den dazugehörigen Diagnoseverfahren (Blutschau, Harnschau etc.) und den entsprechenden ausleitenden Verfahren. Das dazustellen war nicht ganz einfach. „Zum Aderlass gibt es unzählige Objekte, aber stellen Sie mal Erbrechen dar!“ meinte die Museumsleiterin beim Presserundgang durch das Museum. Geburtshilfe, Zahnheilkunde und mehr begegnen dem Besucher, der auch einen Einblick in das Studium an der Medizinischen Fakultät der Ingolstädter Landesuniversität bekommt. So ist der Anatomiessal u.a. mit einem Seziertisch ausgestattet und drum herum wird das Mobiliar angedeutet, auf dem einst zu Zuschauer Platz nahmen. Auf der Rückseite dieser „Sitzplätze“ sind u.a. Präparate ausgestellt. Und den Abschluss des Rundgangs im ersten Stock bildet der Raum „Not lehrt Beten“, in dem es um die Sterblichkeit und das Hoffen auf ein Wunder geht.
Das Erdgeschoss gehört den „starken Dingen“ von A wie Atmen bis Z wie Zweifeln. 21 ausgewählte Objekte erzählen Medizingeschichte(n). Den Abschluss bildet der Zweifel mit einer Pestarztmaske, die drei verschiedene Objektlegenden zulässt. Welche davon richtig ist? Man weiß es nicht. „Glauben Sie nicht alles, auch wenn es auf einem Kärtchen in eine Museum steht,“ erklärt Prof. Ruisinger.
Ach ja, Frankenstein wurde ja bereits erwähnt. Ihm gehört auch ein ganzer, etwas abseits gelegener Raum. „Wir wären dumm gewesen, wenn wir ihm keinen Raum gegeben hätten,“ meint die Museumsleiterin. Aber was stellt man über eine fiktive Person aus? Zum Beispiel eine Ausgabe des Buchs von Mary Shelley aus dem Jahr 1831. Und einen Stadtplan Ingolstadts von 1816. Hier kann man den Weg Frankensteins nachvollziehen, den er zum Sammeln von menschlichen und tierischen Leichen genommen hat. (Ergo: Die Kreatur war ein Hybridwesen aus Mensch und Tier!). Eine Medienstation lässt außerdem den Schöpfungsprozess der Kreatur aus Sicht der Filmgeschichte lebendig werden. Überhaupt befinden sich im Museum Medienstationen und ein Audioguide ist im Eintritt inklusive – so hat die Alte Anatomie den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft.
Ab Dienstag, 3. November, findet eine Eröffnungs-Woche für alle, mit freiem Eintritt und verlängerter Öffnungszeit bis 21 Uhr statt. Da die räumliche Situation in der Alten Anatomie stellenweise etwas beengt ist, wird der Einlass über Zeitkarten reguliert. In einer Stunde dürfen immer nur zehn Personen das Gebäude betreten. Diese Freikarten können ab Dienstag, 27. Oktober, über das Online-Reservierungstool der Städtischen Museen gebucht werden (https://www.ingolstadt.de/museen/reservierung). Bei technischen Problemen helfen die Mitarbeiter an der Museumskasse gerne telefonisch weiter. Ab Dienstag, 10. November, kann die neue Dauerausstellung dann von 10 bis 17 Uhr regulär besucht werden. Der Ticketverkauf erfolgt dabei weiterhin über das Online-Reservierungstool.