Populismus plus?
In der letzten Sitzung des Ingolstädter Stadtrats drängte es Ex-Bürgermeister Albert Wittmann zum sichtbaren Missvernügen von OB Christian Scharpf ans Rednerpult, um auch für Ingolstadt mehr Lockerungen nach dem „Tübinger Modell“ zu fordern. Scharpf selbst hatte sich bereits im Vorfeld der Sitzung für weniger Beschränkungen der persönlichen Freiheiten stark gemacht. Das ist in gewissen Kreisen (von Aiwanger bis hin zu anderen, die für sich in Anspruch nehmen „anders“ oder „quer“ zu denken) gerade populär. Um nicht missverstanden zu werden: Die wirtschaftlich von den Beschränkungen betroffenen Menschen – Künster, Einzelhändler, Gastronomen und andere – müssen vom Staat einen angemessenen Ausgleich erhalten. Wer aber lediglich in seinem Freizeitverhalten betroffen ist, verdient mit dem Ruf nach mehr Freiheit weniger Gehör. Denn in Zeiten, da die Infektionszahlen der Corona-Pandemie exponential steigen, die Plätze auf den Intensivstationen knapper werden und Ärzte sowie alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen bis zur Erschöpfung um das Leben der Infizierten kämpfen, da ist ein Verzicht auf die Party im Klenzepark oder den Besuch im Biergarten hinzunehmen.
Wenn ein Schiff ein Leck hat, eindringendes Wasser von unter Volllast laufenden Maschinen abgepumpt werden muss, um den Untergang zu vermeiden, fordert dann jemand, doch noch ein paar Löcher in die Bordwand zu bohren, um zu testen, ob das dann zusätzlich eindringende Wasser nicht auch noch abgepumpt/verkraftet werden kann? Wer jetzt nach Lockerungen ruft, der muss wissen, dass er eine Erhöhung der Infektionszahlen herbeiführt. Das weiß auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Er hat am Montag dieser Woche sein Modell, bei dem mit Schnelltests überprüfte Bürger in Cafés und Geschäfte dürfen, aufgeweicht; Ausgangssperren nach 20.00 Uhr hält er für sinnvoll, er bittet Besucher, die „im letzten Jahr nicht hier waren, auch jetzt nicht nach Tübingen zu kommen“, räumt einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen (von Donnerstag bis Sonntag letzter Woche stieg die Inzidenz von 35 auf 66,71) ein und betrachtet sein Modell als ein Experiment mit „offenem Ausgang.“ Müssen wir in Ingolstadt nun auch experimentieren? Natürlich noch mehr und besser als in Tübingen! Scharpf, Wittmann und der gesamte Stadtrat wollen ein Modell „Tübingen plus“! Ist das am Ende nur „Populismus plus“, um sich bei denen beliebt zu machen, die meinen, es gehöre zur bayerischen Lebensart, am Barthelmarkt-Montag um 6.00 Uhr morgens vor dem Bierzelt auf dessen Öffnung zu warten, um dann am Vormittag als Bierleiche abtransportiert zu werden? Ihre Meinung zu diesem provozierenden Satz höre ich mir gern unter der Telefonnummer 0841/82466 an!