Polizeipolitischer Sprecher der CSU-Fraktion im bayrischen Landtag, Alfred Grob: „Fast schon epochal“
Interview mit dem polizeipolitischen Sprecher der CSU-Fraktion im bayrischen Landtag, Alfred Grob, über Kriminalstatistik, Präsidium Ingolstadt und Corona-Einflüsse
Herr Grob, als polizeipolitischer Sprecher im bayrischen Landtag haben Sie sich sicherlich über die Kriminalitätsstatistik des vergangenen Jahres gefreut.
Alfred Grob: Natürlich. Bayern ist fast traditionell und seit Jahren schon das sicherste Bundesland im bundesdeutschen Ländervergleich. Dazu hatten wir nun im vergangenen Jahr die niedrigsten Fallzahlen seit 32 Jahren und zugleich die höchste Aufklärungsquote seit 27 Jahren. Bayern hatte also im bundesweiten Vergleich mit Abstand die geringste Kriminalität. Im Freistaat verzeichnen wir aktuell 3.869 Delikte je 100.000 Einwohner. Das ist ein Rekordwert und fast schon epochal. Und was mich besonders freut: Das Polizeipräsidium Oberbayern Nord mit Sitz in Ingolstadt hat 3.324 Straftaten pro 100.000 Einwohner vorzuweisen. Das heißt: Die Kriminalitätsbelastung in unserem Präsidium liegt noch unter dem bayernweiten Schnitt. Aber wir dürfen dabei eine Sondersituation nicht unberücksichtigt lassen: Wir hatten eine Pandemie. Es sind also klare Corona-Einflüsse in dieser Statistik enthalten.
Was heißt das?
Grob: Wir hatten Ausgehverbote und -beschränkungen. Das öffentliche Leben wurde zeitweise stark nach unten gefahren. Tatgelegenheiten, beispielsweise für Ladendiebstähle und Wohnungseinbrüche, waren weniger bis kaum gegeben.
Es gab also weniger Gelegenheiten für Diebe.
Grob. Genau. Wenn wir bei dem Beispiel Ladendiebstahl bleiben: Entweder hatten die Läden coronabedingt komplett geschlossen oder es durfte nur eine maximale, sehr überschaubare Anzahl an Personen in die Läden. Dadurch ergaben sich zwangsläufig für Diebe weniger Möglichkeiten und stärkere Überwachung. Das gilt für Wohnungseinbrüche genauso. Ein Einbrecher ist ja bekanntlich kein Räuber. Er will keine persönliche Konfrontation oder gewalttätige Auseinandersetzung – weder mit den Nachbarn, noch mit dem bissigen Hund oder dem Bewohner selbst, der zufällig nach Hause kommt oder die ganze Zeit bereits zuhause ist. Dieser Täter will einbrechen, wenn niemand zuhause ist. Er will in Ruhe die Räume absuchen und Geld und Schmuck stehlen. Homeoffice und Homeschooling machten es ihm also schwieriger. Deshalb sind in diesen Delikatsbereichen die Fallzahlen stark nach unten gegangen.
Diese dürfen also nun wieder steigen.
Grob: Diese werden, wenn das gesellschaftliche Leben wieder Fahrt aufnimmt, nach oben gehen. Ich denke dabei in erster Linie neben Diebstählen und Einbrüchen auch an Straßen- und Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum. Es wird nächstes Jahr also wieder eine andere Kriminalstatistik geben für das Jahr 2022 oder für 2023, wenn sich alles wieder normalisiert hat. Deshalb habe ich eingangs bereits betont: Die Zahlen aus dem Jahr 2021 muss man unter dem Fokus Corona interpretieren.
Hatte die Polizei im vergangenen Jahr dann weniger Arbeit?
Grob: Nein. Die Polizei hatte 2021 durchaus viel zu tun. Die Beamtinnen und Beamten waren nur bei anderen Aufgaben gefordert, die in einem corona-unabhängigen Jahr eben nicht oder deutlich weniger auftreten. Dazu zählen beispielsweise die Einhaltung der Corona-Richtlinien bei Ausgangsbeschränkungen, bei Ausgangsverboten, den „Spaziergängern“, Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen, die nicht im Stadion oder auf der Volksfestwiese stattgefunden haben. Auch bei Corona-Demonstrationen sind grundsätzlich die jeweils aktuellen Corona-Auflagen zu beachten – beispielsweise Abstände und Maskenpflicht waren einzuhalten. Das war Aufgabe der Polizei, die Gesetze so weit möglich und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit anzuwenden.
Viele Experten sagen, dass manche Dinge, die sich in der Corona-Pandemie bewährt haben, sollten beibehalten werden. Das würde im Nebeneffekt auch eine dauerhafte Reduzierung bestimmter Straftaten nach sich ziehen.
Grob: Wie die Gesellschaft sich in der Nach-Corona-Zeit entwickelt, also ob der Trend zu Homeoffice anhalten wird, wissen wir noch nicht. Aus meiner Sicht wird die Möglichkeit des Homeoffice in vielen Berufen zumindest teilweise beibehalten. Das würde beispielsweise Einbrüche erschweren, weil die Leute mehr zuhause sind. Es hat also coronabedingt bestimmte Fallkonstellationen gegeben, die entsprechend nach unten gegangen sind, weil die Umstände die Tatgelegenheiten nicht zugelassen haben. Es gibt aber einige wenige Phänomene, die hochgegangen sind.
Zählt häusliche Gewalt dazu, weil mehr Menschen Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen mussten?
Grob: Delikte der häuslichen Gewalt fließen in die Kriminalstatistik mit ein. Auch da hatten wir befürchtet, dass die Fallzahlen steigen werden. Zumindest im Hellfeld ist allerdings keine signifikante Änderung passiert. Was jedoch deutlich zugenommen hat, war die Computerkriminalität – oder „Cybercrime“. Das liegt auch daran, weil die Leute noch mehr am Computer saßen und der PC oder andere digitale Kommunikationsmittel vermehrt zum Tatmittel wurden. Es ist also eine klare Verschiebung aus der tatsächlichen zur virtuellen Welt gekommen. Das fängt bei relativ einfach gelagerten Übergriffen, wie Hass und Hetze im Netz an und kann sich sukzessive steigern. Diese Taten passieren nicht ausschließlich von Angesicht zu Angesicht, sondern Opfer werden auch über das Internet beleidigt, gestalkt, bedroht und gemobbt. Gerade auch die Betrugsdelikte im Netz sind angestiegen – egal, ob das nun der Warenbetrug oder der Warenkreditbetrug ist. Das heißt: Bestellen und nicht bezahlen oder sich zahlen lassen und nicht liefern – beides hat zugenommen.
Was ist mit Kinderpornografie?
Grob: Kinderpornografie wird aktuell fast ausschließlich über das Medium Internet begangen. Allerdings passiert die Kinderpornografie in aller Regel erst im zweiten Schritt virtuell, wenn die Bilder angeschaut, verbreitet, kopiert usw. werden. Das erste und schwerwiegende Problem ist die Erstellung der pornografischen Inhalte mit Kindern, deliktisch meist Fälle von schwerer Kindesmisshandlung u.a. Auch in diesem Bereich sind die Fallzahlen exponentiell nach oben gegangen.
Heißt das, dass es immer mehr Kinderpornografie und -missbrauch gibt?
Grob: Nein, nicht unbedingt, die Nachfrage auf dem illegalen Markt ist aber offensichtlich riesig. Daraus lässt sich aber nicht automatisch schließen, dass in diesem Bereich noch mehr passiert. Sondern es wird auch mehr entdeckt und verfolgt, weil vernetzter, internationaler ermittelt wird. US-amerikanische Internet-Plattformen erkennen und melden entsprechende Feststellungen. Sie arbeiten mit FBI, Interpol und BKA zusammen und geben die Ermittlungsansätze zu Erstellern und Nutzern von Kinderpornografie an die zuständigen Behörden vor Ort weiter. Es werden mehr Delikte bekannt, bearbeitet und registriert. Die Sachbearbeitung erfolgt grundsätzlich bei den Kripo-Dienststellen vor Ort.
Wie gehen Sie auf die virtuellen Gefahren als Polizei ein?
Grob: Die Polizei hat sich entsprechend aufgestellt und reagiert organisatorisch darauf. Wir haben Cybercrime-Kommissariate und Arbeitsgruppen „Kinderpornografie“ bei den Kripo-Dienststellen errichtet. Die Cyber-Cops und die digitale Forensik unterstützen die Ermittler in den Fachkommissariaten.
Wie bekämpft die Polizei diese Straftaten?
Grob: Vereinfacht gesagt: Indem man schaut, was im Internet passiert, Straftaten selbst beim Surfen im Netz erkennt oder indem man die Anzeigen von Dritten, bis hin zu internationalen Plattformbetreibern entgegennimmt; aber auch die Hinweise der User und Beobachter im Netz. So schnell wie möglich sind die Aufnahme zu sichern, durch Leute, die sich im Netz auskennen. Deswegen braucht man auch Cybercrime-Polizisten und Ermittlungsspezialisten, die das Hintergrundwissen im Netz und in der Forensik haben. Außerdem gibt es bei der bayerischen Polizei Ermittler, die sich um das anlassunabhängige Surfen im Netz kümmern. Diese gehen mit bestimmten Schlagworten ins Netz hinein und versuchen beispielsweise illegalen Waffenhandel oder Kinderpornografie zu entdecken – auch im sogenannten Darknet. Das geht bis hin zu verdeckten Ermittlern, die unter Umständen auch einmal Kinderpornografie ankaufen oder zuschicken lassen, um die Tat zu beweisen.
Ist Ihnen aufgrund der Aufklärung von Kinderpornografie und -missbrauch die Vorratsdatenspeicherung so wichtig?
Grob: Ja, sicher. Diese Kommunikations-Verbindungsdaten werden aktuell unzulänglich gespeichert. Die Begründung ist: Die Speicherung sei datenschutzrechtlich hochkomplex und gefährlich, es gäbe dann einen gläsernen Bürger und zu starke Eingriffe des Staates. Ich sage: Es ist vertretbar, dass man die Verbindungsdaten beispielsweise für sechs Monate speichert und die Polizei nur mit richterlichem Beschluss beim Telekommunikationsbetreiber den Zugriff auf zuvor genau zu bestimmende Telekommunikationsdaten erhält. Genau nur im Umfang, wie es der Richter angeordnet hat. Aber: Ohne die zuvor zu erfolgende Speicherung können die Daten auch nicht genutzt werden, um Kinderpornografie, Terrorismus oder andere Formen der Schwerkriminalität aufzuklären. Aus kriminalpolitischer Sicht wäre das allerdings wichtig. Da geht es ausdrücklich nicht um Gesprächsinhalte, sondern um Verbindungsdaten. Also: Wer hat mit wem, zu welcher Zeit kommuniziert, im Netz oder über Handy und wo war der Standort?
Kann die Polizei diese umfangreichen und auch neu hinzugekommenen Aufgaben personell bewältigen?
Grob: Ja – unter anderem deshalb werden bayernweit bis 2023 insgesamt 3500 zusätzliche Stellen geschaffen. Das Programm läuft insgesamt sieben Jahre lang. Jedes Jahr kommen 500 zusätzliche neue Stellen hinzu. Ich habe mich stark dafür eingesetzt, dass unser Polizeipräsidium entsprechend der Arbeitsbelastung auch durch diese neuen Stellen berücksichtigt wird. So erhält das Polizeipräsidium Oberbayern Nord in Ingolstadt aus den 3.500 Stellen 760 neue Stellen. Das ist mehr als jedes andere Polizeipräsidium in Bayern – auch mehr als München und Mittelfranken.
Warum?
Grob: Weil die Bevölkerung hier zum einen sehr schnell und stark angewachsen ist und die Arbeitsbelastung zum anderen im Polizeipräsidium Oberbayern Nord verhältnismäßig sehr hoch ist. Diese wird in einem sehr ausdifferenzierten Modus errechnet, der verschiedene Parameter, wie beispielsweise Fläche, Arbeitsbelastungsstatistiken und die Bevölkerungsentwicklung, berücksichtigt.
Was passiert mit diesen 760 Stellen nun?
Grob: Diese werden – je nach Belastung – zwischen allen Dienststellen des Präsidiums aufgeteilt. Das Polizeipräsidium Oberbayern-Nord reicht von Eichstätt oder Beilngries bis nach Starnberg und Ebersberg. Bei der Verteilung wird mit ähnlichen Parametern gearbeitet. Aber auch dabei gilt: Je größer die Verteilungsmasse, desto mehr kommt auch in der Basis an. Wichtig ist mir dabei, dass nicht nur die Stellen, sondern auch die Menschen, die Köpfe, tatsächlich bei den Dienststellen ankommen.
Wie wird die Polizei der Zukunft aussehen?
Grob: Die Polizei wird noch flexibler werden müssen. Die Polizei wird digitaler werden – obwohl sich in diesem Bereich bereits sehr viel getan hat. Auch Ausstattung und Polizeiorganisation wird fortlaufend angepasst werden müssen.
Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Polizei mehr und mehr aus dem Land zurückzieht?
Grob: Nein, wichtig ist, dass die Polizei so gut wie möglich vor Ort präsent ist, die Reaktionszeiten also möglichst kurz sind. Von wo aus die Streifenfahrzeuge gesteuert werden, ist aufgrund der digitalen Kommunikation nicht mehr entscheidend. Die Angst, dass die Polizei sich aus der Fläche zurückziehen könnte, habe ich dabei nicht.
Was bedeutet das für das Präsidium Ingolstadt?
Grob: In der Region sehe ich hier nicht den großen Bedarf. Das liegt daran, weil die Entfernungen zwischen den Dienststellen so groß sind, dass wir in der Fläche auf keine Dienststelle verzichten können. Das gilt sowohl für Ingolstadt als auch für Pfaffenhofen, Eichstätt oder Beilngries usw.
Die Zentralisierung betrifft auch den Notruf.
Grob: Ja. Der Notruf läuft im gesamten Polizeipräsidium Oberbayern Nord von Starnberg bis Eichstätt oder Titting in der Einsatzzentrale in Ingolstadt auf. Von dort wird alles zentral gesteuert und disponiert. Dadurch erhalten wir einen genauen Überblick, in welcher Region und in welchem Bereich welche Streifen unterwegs sind, welche Streife verfügbar ist oder noch keinen Einsatz hat.
Aber mangelt es den Bediensteten nicht an Ortskenntnissen, wenn eine geografisch so große Fläche des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord zentral von Ingolstadt aus gesteuert wird?
Grob: Nein. Zum einen ist die Einsatzzentrale so aufgeteilt, dass die ehemals drei Schutzbereiche Erding, Fürstenfeldbruck und Ingolstadt getrennt voneinander disponiert werden. Die Leute kennen sich in den jeweiligen Regionen also gut aus. Zum anderen hat man mannigfaltigstes Kartenmaterial zur Verfügung, das bei einem Notruf sofort zur Verfügung steht. Aber die Vorteile überwiegen bei der Zentralisierung der Notrufe in der Einsatzzentrale klar: Flexibilität, Übersicht und Disposition sind dadurch deutlich einfacher und schneller zu realisieren.
Das Gespräch führte Timo Schoch.
Zur Person
Alfred Grob sitzt seit 2018 für die CSU im Bayerischen Landtag. Derzeit ist Grob dort polizeipolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion und Mitglied im Ausschuss für kommunale Fragen und Innere Sicherheit. Er war zuvor 17 Jahre lang Leiter von Kriminalpolizeidienststellen in Oberbayern, davon neun Jahre Leiter der Kripo Ingolstadt.