„Mehrere Kollateral-Schäden nach erstem Konzert“
Moderator Markus Kavka über seine Lesung in Ingolstadt und wie ihn die Band „Depeche Mode“ geprägt hat
Herr Kavka, welche Musik läuft gerade bei Ihnen?
Markus Kavka: Eigentlich immer alles. Ich habe keine typische Musik für irgendwas. Und im Grunde läuft bei mir den ganzen Tag über Musik – alleine schon zwei bis drei Stunden berufsbedingt. Da ich für meine Sendungen Musik kuratiere, höre viele verschiedene Sachen. Ich bin permanent auf Streaming-Portalen unterwegs, höre mir die 30 bis 40 Promotionsachen an, die mich täglich per Mail erreichen, stelle Playlisten zusammen usw. Im Grunde beschäftige ich mich also sieben Tage die Woche mit Musik. Die einzige musikfreie Zone ist eigentlich das Bad.
Können Sie dann überhaupt noch unvoreingenommen Musik hören?
Kavka: Fast gar nicht. Ich habe ständig die Verwertung von Musik im Hinterkopf, wenn ich etwas höre. Auch meine Frau ist ein totaler Musiknerd. Deshalb spielt Musik eine große Rolle in unserer Beziehung. Eigentlich können wir nur am Abend, wenn wir zusammen kochen, mal nur die Musik genießen, ohne gleich daran zu denken, was man damit anstellen könnte.
Auf was legen Sie Wert bei Musik?
Kavka: Damals wie heute gilt: Musik muss bei mir nur ein Kriterium erfüllen, damit es mir gefällt: Entweder die Musik berührt mich oder sie berührt mich nicht. Dabei ist mir das Label egal. Bereits früher habe ich parallel zu Gothic und Rave auch lupenreinen Pop gehört, also Charts. Das durfte man zwar in der Gothic-Szene, in der ich früher sehr aktiv war, dann nicht zugeben, dass man auch mal „Pet Shop Boys“ und „Culture Club“ hörte (lacht). Aber dieser Stil-Mix zieht sich durch mein musikalisches Leben. Parallel zu den Goth-Sachen habe ich in den 1980er- und -90er-Jahren krassen Metal gehört, später „Drum and Bass“, Techno und elektronische Musik. Ehrlich gesagt, finde ich es geil, so viele Sachen zu hören. Ich war nie ein Freund davon, aus Prinzip Stile abzulehnen. Da gehen einem viele tolle Sachen durch die Lappen.
Es gibt aber trotzdem musikalische Konstanz in Ihrem Leben.
Kavka: Ja, aber wenig. „Depeche Mode“ ist fast die einzige Band, die mich neben „The Cure“ und „New Order“, seit meiner Jugend begleitet. Von „Depeche Mode“ kaufe ich mir wirklich noch jede neue Platte und gehe immer noch bei jeder Tour auf zwei bis drei Konzerten.
War das auch der Grund, warum Sie über „Depeche Mode“ ein Buch geschrieben haben?
Kavka: Im Grunde ist es eine bunte Revue rund ums Thema „Depeche Mode“ und meine Biographie mit der Band.
Es ist also quasi eine Liebeserklärung an die Band und eine gespiegelte Autobiografie.
Kavka: Das Buch ist in der KiWi-Musikbibliothek erschienen. Der Grundgedanke hinter diesem Projekt ist: Bekannte Autoren und Musiker sollen über ihre Lieblingskünstler schreiben, die sie am meisten geprägt haben und die sie immer noch als Fan verehren. Es ist also somit keine klassische Biographie oder ein Sachbuch, sondern eine vollkommen subjektive Sicht aus der Fanwarte. Im Buch erfährt der Leser also nicht viel Neues über die Band. Aber er weiß dann, wie mich die Band geprägt hat. Es ist also ein Buch abseits der Kameras.
Wie sieht eine Lesung von Ihnen aus?
Kavka: Im Zentrum steht das Buch, aus dem ich vorlese. Das nimmt etwa die Hälfte der Zeit ein. Beim Thema „Depeche Mode“ gibt es jedoch eine Menge anderer Sachen, die man einbauen kann, wie Musikvideos der Band, zu der ich nochmals Geschichten erzähle. Dazu zeige ich Fotos aus meiner Jugendzeit und spiele Ausschnitte aus Interviews ein, die ich mit der Band geführt habe.
Seit wann begleitet Sie „Depeche Mode“?
Kavka: Meine erste Platte hatte ich mit 14 Jahren. Die Band hat mich durch meine komplette Adoleszenz bekleidet hat und dementsprechend nervös war ich dann auch, als ich als gestandener Musikjournalist mit über 30 Jahren einmal die Gelegenheit hatte, die Band persönlich zu treffen.
War es in diesem Punkt schwierig, seriösen Journalismus vom Fansein zu trennen?
Kavka: Ja. Man will gute journalistische Arbeit leisten, aber kann nicht unterdrücken, dass man ein Stückweit auch Fanboy ist. Das darf man sich natürlich nicht anmerken lassen. Der Vorteil am Fantum ist allerdings: Man weiß wahnsinnig viel über die Band. Alles, was man in den Interviews erfährt, ist bekannt. Man hat eine entsprechende Grundsicherheit. So kannte ich jede Story, jedes Album und habe die Band 20- bis 30-mal live gesehen. Durch dieses Grundwissen kann man gute Fragen stellen.
Aber trotzdem ist die Gefahr enttäuscht zu werden enorm.
Kavak: Ich hatte immer das Glück, dass alle meine Interviews mit großen Idolen, allen voran „Depeche Mode“, „The Cure“, „New Order“ und „Nick Cave“, super liefen. Klar ist allerdings: Wäre ein Interview aus irgendeinem Grund schlecht gelaufen, wäre im Nachhinein mein komplettes Fantum ruiniert gewesen. Ich hätte dann wohl die Musik nicht mehr so unvoreingenommen hören können. Besonders tragisch wäre das natürlich bei „Depeche Mode“ gewesen. Aber jedes einzelne Interview war eine große Freude und hat mich einmal mehr darin bestätigt, die Band cool zu finden und sie zu lieben.
Welches Ereignis verbinden Sie extrem mit „Depeche Mode“?
Kavka: Da fällt mir immer sofort das erste Konzert ein. Das war im Jahr 1986 in der Münchner Rudi-Sedlmayer-Halle. Ich war dort mit meinem besten Spezl aus Kindheits- und Jugendtagen, dem heutigen Ingolstädter Stadtrat Karl Ettinger. Wir sind dort in voller Montur eingerückt, geschminkt, mit Gehänge, schwarzen Klamotten und Haare nach oben. Eben so, wie man damals in der Gang ausgesehen hat. Vor dem Konzert kam ein Fotograf zu uns und meinte, ob er ein Foto mit uns machen dürfte. Er hatte es gar nicht weiter erwähnt, wofür er das Foto verwenden würde. Das war uns aber auch erst einmal egal. Bis eine Woche später die neue „Bravo“ erschien. Dort war ein Bericht über dieses Konzert abgedruckt, mit der Überschrift „Immer gut drauf: So verrückt sehen ,Depeche Mode‘-Fans aus“. Und dort waren Karl und ich zu sehen. Dieses Bild zog dann gleich mehrere Kollateral-Schäden nach sich (lacht).
Welche?
Kavka: Zum einen waren wir sofort das Gespött in Manching und Ingolstadt und natürlich in unserer Grufti-Gang. Die „Bravo“ war erklärtermaßen völlig uncool. Darin aufzutauchen war absolut nicht erstrebenswert. Ein anderer Kumpel hat die Seite zigfach kopiert und in unserem damaligen Ingolstädter Stammklub aufgehängt, damit auch jeder mitbekam, wo der Karl und der Markus gelandet waren. Da wurden wir wochenlang total verarscht. Der zweite Kollateralschaden war unsere Eltern. Sie hatten uns noch nie in dieser Montur gesehen.
Auch das gab natürlich Gesprächsbedarf.
Kavka: Natürlich gab es Nachfragen (lacht). Wenn wir ausgegangen sind, haben wir unsere ganzen Utensilien und unser Schminkzeug in der Plastiktüte mitgenommen und uns erst an der nächstbesten Autobahntankstelle umgezogen und geschminkt. Unsere Eltern wussten also nicht, wie wir aussehen, wenn wir ausgingen. Erst durch das Bild bekamen unsere Eltern überhaupt erst einmal mit, wie wir zurechtgemacht sind, wenn wir unsere heimischen vier Wände in Manching verließen. Aber ich hatte Glück, dass ich sehr liberale Eltern hatte.
Es gab also kein Verbot dafür?
Kavka: Nein. Meine Eltern hatten relativ früh ein unerwartet großes Verständnis für mein Äußeres. Mit 14 Jahren begann ich deutlich anders auszusehen als die anderen jungen Leute im Dorf – und ich hatte auch einen anderen Musikgeschmack. Meine Eltern dachten: Auch diese Phase im Leben wird irgendwann vorbei sein. So erteilten sie mir keine Verbote. Was mir natürlich in die Karten gespielt hat: Ich war in der Schule relativ gut. Es gab von Lehrerseite nie Beschwerden. Dazu habe ich keinen Alkohol getrunken, nicht geraucht und keine Drogen genommen. Auch das war für sie wichtig. Sie mussten also nicht befürchten, dass ich auf die schiefe Bahn geraten würde. Das fand ich groß von meinen Eltern. Sie wussten, dass dies kein Protest oder Auflehnen ihnen gegenüber war, sondern wirklich nur eine Art Selbstverwirklichung. Ich hatte im Goth eine Art Erleuchtung gefunden, fand die Musik super, das Aussehen und die politische Richtung.
Sahen das auch die Leute in Manching so?
Kavka: Grufti und Gothic kannte man nicht in Manching – außer unserer vier-, fünfköpfigen Gang. Da wir bis 18 Jahren wenig mobil waren, gingen wir regelmäßig in die Manchinger Dorfdisko. Dort gab es laufend Stress. Die Leute fanden unser Äußeres nicht gut. Der DJ spielte pro Abend etwa drei, vier Songs für uns von „The Cure“ bis „Depeche Mode“. Darauf haben wir getanzt. Der typische Grufti-Tanz war sehr raumgreifend. Man brauchte eine Menge Platz auf der Tanzfläche. Die anderen in der Disko, allen voran die Bierprolls, stellten sich absichtlich so auf die Tanzfläche, dass man gar nicht anders konnte, als sie anzurempeln. Dann hieß es sofort: „Hey, du scheiß Pfarrer! Gehen wir raus?“ Sie wussten nicht, wie sie die schwarzen Klamotten einsortieren sollten und nannten uns deshalb „Scheiß Pfarrer“.
Dann gab es Hiebe?
Kavka: Draußen auf dem Parkplatz. Dort gab es eine aufs Maul und dann ging es wieder zurück in die Disko. Am Anfang machten wir den Fehler und wehrten uns. Das zog alles nur in die Länge und tat noch mehr weh. Später haben wir uns nach den ersten Schlägen einfach auf den Boden gelegt. Da hatten selbst die grobschlächtigsten Manchinger Barbaren keine Freude mehr daran, uns weiter zu malträtieren. Zu dieser Zeit machten sich unsere Eltern allerdings Sorgen. Aber sie erkannten dies auch als einen Teil, einen Prozess meiner Selbstverwirklichung. (tis)
Zur Person
Markus Kavka ist Moderator, Musikjournalist, Buch-Autor und DJ. Er wurde am 27. Juni 1967 in Ingolstadt geboren und wuchs in Manching auf. Seit 2003 lebt er in Berlin. Kavka ist seit 2015 mit der Radio-Moderatorin Babette Conrady verheiratet.
Die Lesung
Das Ende seiner Lesereise führt Markus Kavka in seine Heimat: Am Donnerstag, 26. Mai, ab 20 Uhr liest Moderator Markus Kavka aus seinem Buch „Depeche Mode“ in der Ingolstädter „eventhalle Westpark“.