„Die Innenstadt als Erlebnisraum ist das Ziel“
Wirtschaftsreferent der Stadt Ingolstadt, Georg Rosenfeld über die Innenstadt, den Einzelhandel und Verbesserungspotenzialen
Herr Rosenfeld, Wie bewerten Sie den Einzelhandel, die Gastronomie und das Wohnen in der Innenstadt: Was passt, wo gibt es Nachbesserungen?
Georg Rosenfeld: Wir sehen auf die innerstädtischen Einzelhandelsflächen bezogen einen Leerstand von rund 40 Prozent, und dieser wird sich auch nach der Pandemie nicht mehr in Gänze füllen – zumindest nicht mit Einzelhandelsgeschäften. Rückläufige Umsätze konnten die hohen Kosten, die das stationäre Ladengeschäft mit sich bringt, schon vor der Pandemie in vielen Fällen nicht mehr decken. In der ungewissen Situation der Pandemie und mit steigenden Onlineumsatzanteilen gerade im Bereich innerstädtischer Sortimente sind nur wenige Händler bereit, den Schritt einer Filialeröffnung zu gehen.
Im Gegensatz zur fehlenden Nachfrage im Einzelhandelsbereich ist die Nachfrage nach Fläche im Wohnbereich in Ingolstadt ungebremst. So gehen immer öfter Umnutzungsanträge bei der Stadt ein, die kleine Ladenflächen in B oder C Lagen sowie großflächige Einzelhandelsgeschäfte in A Lagen in eine Wohnraumnutzung überführen.
Die Gastronomie war und ist weiterhin von den Einschränkungen durch die Pandemie mit am härtesten betroffen. 70 bis 90 Prozent Umsatzeinbußen im abgelaufenen Jahr bedrohen vielfach die Existenz. Im Lockdown waren viele Servicekräfte gezwungen, sich eine neue Arbeit zu suchen. Viele zögern, in den alten Beruf zurück zu kehren. Dennoch sind es zurzeit vor allem gastronomische Konzepte, die aktuell nach Flächen in Ingolstadt suchen.
In Summe wird sich der Nutzungsmix in der Innenstadt also ändern: Mehr Wohnungen, in der Tendenz auch mehr Gastronomie, dafür weniger Einzelhandel.
Woran liegt es, dass es so viele Leerstände im Einzelhandel in der Innenstadt gibt?
Rosenfeld: Die Pandemie hat einen bereits begonnen Trend zu mehr Onlineeinkäufen beschleunigt. Besonders stark davon betroffen ist der Bekleidungshandel. Laut Deutschem Handelsverbrand HDE werden inzwischen 54 Prozent des Umsatzes mit Bekleidung online generiert. Der stationäre Umsatz der Bekleidungsbranche sank in 2021 erneut um neun Prozent gegenüber einem schwachen 2020 und im Vergleich zu 2019 um 30 Prozent. Diese Entwicklung hat auch in Ingolstadt sichtbare Spuren hinterlassen. So gaben in den letzten Jahren nacheinander s’Oliver, Esprit, CCC Shoes, C&A und letztlich auch der Galeria Kaufhof die Innenstadtstandorte auf und hinterließen, bezogen auf die innerstädtische Einzelhandelsfläche, einen gut 40-prozentigen Leerstand. Kleinere Bekleidungsgeschäfte zeigten sich resilienter, weil oftmals inhabergeführt, kundenorientierter agierend und unabhängig von der Gewinnerwartungshaltung großer Handelskonzerne. Ihre Zukunft hängt sehr davon ab, ob sie es schaffen, ihre lokale Stärke und Kundenbeziehung auch digital auf- und auszubauen und so weiterhin sichtbar für ihre Kunden zu bleiben.
Im Übrigen ist der Leerstand bei den kleinen Flächen mittlerweile überschaubar. Es gibt aber auch bei den großen Leerständen positive Entwicklungen: Das frühere C&A-Gebäude in der Ludwigstraße ist wiederbelebt und auch das benachbarte Kaufhof-Areal soll entwickelt werden – das Konzept dafür wird gerade beauftragt.
Wie will man die Einzelhändler in der Innenstadt vor der zunehmenden Verlagerung auf die grüne Wiese (bspw. Westpark, Village, Münchner Straße etc.) schützen?
Rosenfeld: Die vormals hohe Kundenfrequenz der Innenstädte und vielversprechenden Umsatzpotentiale waren die ursprünglichen Beweggründe des Einzelhandels für eine Ansiedlung in der teureren Innenstadtlage. Heute ist die Hochfrequenzlage aber für viele Warengruppen nicht mehr die Innenstadt, sondern die gut anfahrbare, von weitem sichtbare Fachmarktzentrumslage oder die Lage im Einkaufszentrum, welches ebenso gut erreichbar, mit kostenlosen Parkplätzen ausgestattet und wetterunabhängig der ursprünglichen Aufgabe der Innenstadt nachkommt, nämlich den Bürgern einen Treffpunkt mit vielfältigem Angebot zu bieten. Hier wird eingekauft, gegessen, Sport getrieben oder an kulturellen Events teilgenommen. Letztlich geht der Kunde dorthin, wo es für ihn das beste Angebot gibt, d.h. die einfachste, schnellste und bequemste Erreichbarkeit, das breiteste Angebot, die beste Beratung, den günstigsten Preis. Aber auch das beste Gesamterlebnis! Und genau hier müssen wir ansetzen: Frequenz für den Handel statt Frequenz durch den Handel ist das neue Paradigma. Die Innenstadt als Erlebnisraum ist das Ziel. Wohnen und Arbeiten, Gastronomie und auch Kultur in der Innenstadt können zu einer Belebung führen, die letztlich auch dem Einzelhandel nutzt.
Was kann getan werden, damit die Attraktivität steigt?
Rosenfeld: Die Innenstadt muss wieder zu dem werden, was sie früher einmal gewesen ist: Ort der Begegnung und Aufenthaltsraum der Stadtgesellschaft. Um uns hier auf den Weg zu machen, haben wir im Sommer 2020 unseren Innenstadtprozess mit breiter Bürgerbeteiligung gestartet. Aus über 500 Ideen wurden in einjähriger Arbeit 25 konkrete Maßnahmen entwickelt. Sie reichen von der Verbesserung der Aufenthaltsqualität, z.B. durch neue Baumpflanzungen und Wasserspiele in der Fußgängerzone, bis hin zu einem professionalisiertem Leerstandsmanagement, z.B. durch eine kommunale Immobilienplattform und dem Aufbau eines Leerstandskatasters.
Diese Umsetzung läuft nun seit Sommer 2021 unter dem Slogan „START:ING“ und kann verfolgt werden über die Webseite www.starting-innenstadt.de. Darüber hinaus wurde Interessierten die Möglichkeit eingerichtet, sich bei dem Innenstadtkümmerer Valentin Herbold per Mail (innenstadtkuemmerer@ingolstadt.de) oder Telefon (0841-3053004) über den Stand der Maßnahmen zu informieren.
Es gibt Stimmen, die sagen, es werde nicht alles getan, um die Attraktivität in der Innenstadt zu erhöhen.
Rosenfeld: Man kann immer noch mehr tun. Wichtig ist, dass das Thema angepackt wird und dass die verschiedenen konkreten Maßnahmen nachverfolgt werden und ineinandergreifen. Die Reduktion von Parkgebühren allein führt nicht zu mehr Frequenz, wenn die Attraktivität der Innenstadt nicht gegeben ist. Das Thema Innenstadt steht ganz oben auf der Agenda der Stadt. Doch es gilt: Verantwortlich für die Attraktivitätssteigerung der Altstadt ist nicht nur die Stadtverwaltung oder die Wirtschaftsförderung. Unternehmerinnen und Unternehmer, Vereine und letztlich alle Bürgerinnen und Bürger tragen dazu bei, die Innenstadt zu beleben. Die letzten anderthalb Jahre haben gezeigt, dass viele Akteuren zusammenarbeiten wollen, um eine Verbesserung zu erzielen.
Welche Planungen und Projekte gibt es vonseiten der Stadt, um die Attraktivität zu erhöhen?
Rosenfeld: Wir werden bewährtes fortschreiben und verstärken und gleichzeitig neues anpacken. Gut funktioniert hat zum Beispiel das Förderprogramm „Cityfreiraum“, das die IFG zusammen mit IN-City und dem Existenzgründerzentrum entwickelt hat: Es fördert junge Gründerinnen und Gründer, die eine konkret durchdachte Geschäftsidee auf Flächen in der Ingolstädter Innenstadt umsetzen wollen. Seit 2013 konnten wir 34 Neuansiedelungen in der Altstadt unterstützen und konnten so einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Leerstand leisten. Noch heute sind circa 60 Prozent der ehemaligen Cityfreiraum-Gründungen in der Innenstadt aktiv. Diese Erfolgsgeschichte werden wir fortschreiben und uns dabei noch stärker darauf fokussieren, authentische Einzelhandelskonzepte nach Ingolstadt zu locken.
Für neue Projekt beschreibt der veröffentlichte Maßnahmenkatalog des Innenstadtprozesses den Kern des Programms. Er kam zur rechten Zeit, um staatliche Zuschüsse fundiert beantragen zu können. So wurde die Stadt in das Förderprogramm „Innenstädte beleben“ des Freistaates Bayern aufgenommen. Damit können neue Projekte wie die Errichtung eines Kultur- und Kreativzentrums im ehemaligen Donaukurier-Gebäude in der Donaustraße oder der Ausbau des Stadtparks Donau umgesetzt werden. Des Weiteren setzen wir mit der bereits erfolgten Antragstellung beim Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ u.a. eine Förderung für die Aufwertung des Viktualienmarkts, der Einrichtung von Urban Gardening oder einer Konzeptentwicklung für die touristische Vermarktung Frankensteins in Ingolstadt.
Über eine neu eingerichtete Kommunale Immobilienplattform (KIP) für Ingolstadt kann jeder Privateigentümer kostenlos Leerstände für private oder gewerbliche Nutzungen anbieten, und sei es nur für eine temporäre Zwischennutzung oder saisonale Untervermietung. Per „Leerstandsmelder“ können aufkommende Leerstände direkt an die IFG gemeldet werden. Damit gehen wir den nächsten Schritt in Richtung professionelles Leerstandsmanagement und leisten einen weiteren Beitrag zur Innenstadtbelebung.
Wir bleiben auch beim Standortmarketing nicht stehen: Wir starten einen aufbauenden Prozess mit Bürgerbeteiligung, um die Stadtidentität und den Markenkern Ingolstadts gemeinsam zu definieren. Das war bereits ein Thema im Innenstadtprozess, geht aber natürlich weit über die Innenstadt hinaus. Damit schaffen wir die Grundlage für zukunftsorientierte Stadtentwicklung und ein Standortmarketing neuer Qualität.