Seidenpapier, Meterstäbe und Ingolstadts krassestes Klo
Mit der Ausstellung „Mind the Gap“ wird das Museum für Konkrete Kunst zum Gesamtkunstwerk, das dazu noch viel Spaß macht.
„Es sind einzigartige Arbeiten nur für uns entstanden!“ Simone Schimpf, die Leiterin des Museum für Konkrete Kunst, darf stolz auf diese außergewöhnliche, museale „Abschiedsvorstellung“ sein. Nicht sie nimmt Abschied vom Museum, sondern das Museum verabschiedet sich (allmählich) aus den Räumlichkeiten in der Tränktorstraße. „Wir gehen allerdings nicht wie geplant Ende des Jahres raus,“ erklärte Simone Schimpf beim Pressetermin, „wir werden nächstes Jahr wird noch eine Ausstellung dran hängen. Aber wir empfinden diese Ausstellung als die große Abschiedsschau.“ Und als solche ist sie auch konzipiert. Der Titel „Mind the Gap“ (dieser Hinweis ertönt in der Londoner U-Bahn, um vor dem Zwischenraum zwischen Zug und Bordstein zu warnen) bezieht sich auf die Übergangsphase vom alten zum neuen Museumsbau, der bekanntlich auf dem Gießereigelände entsteht. „Zwischen bekannten und neuen Räumen“ lautet denn auch der Untertitel der Schau. Und dass sich durch die Corona-Pandemie ein zusätzliches „Gap“ ergeben hat, durch das beispielsweise die für den 9. Mai geplante Eröffnung nun auf den September verschoben werden musste, macht das Ausstellungsmotto umso aktueller.
Das Gebäude in der Tränktorstraße hat Kuratoren und Verantwortliche immer wieder an deren Grenzen gebracht, aber: „Jetzt wollten wir zeigen, was der Raum alles kann!“ betont die Museumsdirektorin. 12 Künstler wurden dazu eingeladen, sich in dem Gebäude „auszutoben“ und dem MKK im Prinzip maßgeschneiderte Werke anzupassen. Trotz Corona konnten auch die Gäste aus der Schweiz, Schweden oder Holland anreisen und innerhalb von drei Wochen ihre „Bühne“ bespielen. Alexandra Liebherr hat die Ausstellung kuratiert und den einzelnen Künstlern ihren „Spielraum“ zugewiesen – vom Erdgeschoss bis in den zweiten Stock. Entstanden ist dabei ein Kunst-Erlebnis, das bis in den Sanitärbereich reicht.
…und am Ende weiße Wände
6000 quadratische Blätter Seidenpapier hat beispielsweise die Künstlerin Katharina Hinsberg im Erdgeschoss des MKK angebracht. Was auf den ersten Blick wie eine Reihe roter Kacheln aussieht, wird sich im Lauf der Ausstellung mit Hilfe des Publikums verändern. Jedes Quadrat besteht aus 12 Lagen mit unterschiedlich farbigem Papier. Zu bestimmten Terminen werden Museumsbesucher nach dem Konzept der Künstlerin neue Muster an den Wänden entstehen lassen. Und am Ende bleiben weiße Wände. Auf das Farbenspiel folgt quasi die Leere – fast schon ein Sinnbild für das Ende des MKK in der Tränktorstraße.
Aus 180 Zollstöcken besteht das Kunstwerk des Schweden Jacob Dahlgren, was man aber erst auf den zweiten Blick erkennt. Und diese weißen, futuristischen Quadrate auf den Boden? Die entpuppen sich als Personenwagen. Draufsteigen ist ausdrücklich erlaubt. Jeder Besucher kann so mit dem Betreten der Quadrate eine kleine, vergängliche Lichtspur erzeugen.
Mitmachen – das ist auch beim MKK-Psychotest erwünscht. In der bunten Umgebung des Kunstwerks von Erika Hock darf ein Test ausgefüllt werden, um herauszufinden, wer welchem Museumstyp entspricht. Das Ergebnis wird im zweiten Stock ausgewertet, wobei hier auch die Zukunft des MKKD in den neuen Räumen mit einbezogen wird. Es ist ja immer gut zu wissen, was so einen Museumsbesucher umtreibt…
12 Künstler, 12 ganz unterschiedliche, zeitgemäße Werke der Konkrete Kunst bevölkern nun also das MKK. Treppengeländer fließen zu Boden, Räume täuschen Unendlichkeit vor, fröhliche Farben „explodieren“ vor Übermut, filigrane, weiße Bänder spannen den Bogen – wohin? Vielleicht in ein neues Kunstzeitalter in Ingolstadt. Umso intensiver sollte man das „alte Museum“ jetzt noch einmal wahrnehmen. Und dazu noch ein Tipp: Auch wenn Sie nicht müssen, sollten Sie müssen. Denn auch die Toiletten im MKK sind ganz konkret zu Örtchen der Kunst geworden. Annegret Bleisteiner hat Wunderkammern daraus gemacht und gar Wunderliches in diesen profanen Ort menschlicher Bedürfnisse gepackt.
Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt
Mind the Gap! Zwischen bekannten und neuen Räumen
Laufzeit: 6. September 2020 bis 11. April 2021
Infos unter www.mkk-ingolstadt.de
Die KünstlerInnen
Annegret Bleisteiner, München
Marco Casentini, Mailand
Jacob Dahlgren, Stockholm
Vanessa Henn, Stuttgart
Katharina Hinsberg, Neuss
Erika Hock, Köln
Markus Krug, München
Karim Noureldin, Lausanne
Jan van der Ploeg, Amsterdam
Marleen Sleeuwits, Den Haag
Esther Stocker, Wien
Thomas Trum, Hertogenbosch
Ausstellungseröffnung mit „Art and Beat revised“
Aufgrund der geltenden Hygieneauflagen, kann keine gewöhnliche Art and Beat-Party stattfinden. Daher eröffnet das MKK die Ausstellung mit einer „Art and Beat revised“ im Außenbereich am Samstag um 19 Uhr. Ausgerichtet vom Museum, der Stiftung und der Audi ArtExperience bilden die Mitmach-Aktionen Shifting Dimensions Wackelbilder mit Michael Campos Viola, der Foodtruck samt Bar der Genuss Spezl und Musik den Auftakt der Ausstellung.
Der Einlass in das Museum erfolgt ab 18 Uhr im Halbstundentakt für jeweils eine begrenzte Besucherzahl, mit je einer kurzen Einführung. Die Reservierung des gewünschten Zeitfensters kann vorab über ein Onlinebuchungssystem vorgenommen werden, die Termine bis 22 Uhr sind jedoch schon ausgebucht. https://www.ingolstadt.de/museen/reservierung