ÖDP: In ökologischer Hinsicht ist es überfällig, die Handbremse zu lösen
Mit einem Positionspapier hat sich die Kreisgruppe des BUND Naturschutz an die Ingolstädter Stadträte gewandt, um den Blick auf „drängende Zukunftsfragen“, „insbesondere im Bereich des Klimamanagements und des Naturschutzes“ zu richten.
„Eine neue ökologische Stadtpolitik, die neue Konzepte erarbeitet und diese auch umsetzt“, basierend auf „geeigneten Strukturen in der Verwaltung“, das erwartet sich die Kreisgruppe im von Kreisvorsitzendem Michael Würflein und der Geschäftsführerin Lena Maly-Wischhof unterzeichneten Schreiben.
Die beiden ÖDP-Stadträte Raimund Köstler und Fred Over signalisieren nun ihre Zustimmung zu den Zielvorstellungen, die der BN in einem umfangreichen Handlungskatalog festgehalten hat, welcher sich in die Themenbereiche Landwirtschaft, Energiewende/Klimaschutz, Artenvielfalt, Landschaftsschutz und Lebensraum Wasser sowie Flächenschutz, Mobilität und sozial-ökologische Transformation gliedert. Wobei sowohl der Gründung eines Landschaftspflegeverbandes als auch der Sicherung von erstem und zweitem Grünring noch besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
„Im Grunde ist ja in Ingolstadt schon sehr viel vorhanden: Wenn alleine alle in den letzten Jahren abgeblockten, noch offenen und noch nicht abgearbeiteten Anträge des Stadtrates nun ernsthafter mit mehr Entschlossenheit angegangen werden, so wäre schon einiges erreicht“, so Stadtrat Raimund Köstler. „In ökologischer Hinsicht ist es überfällig, in Ingolstadt die Handbremse zu lösen. Der Eindruck, dass man sich in vielen anderen Städten schon mehr Gedanken zu einem überfälligen Wandel gemacht hat, hat sich bei mir in den letzten Jahren immer mehr verfestigt“, ergänzt Stadtrat Fred Over.
Hier das Positionspapier des BUND
Für eine neue ökologische Stadtpolitik
Die BUND Naturschutz Kreisgruppe Ingolstadt sieht nach der Kommunalwahl 2020 und angesichts der Corona-Krise die Notwendigkeit und Chance für eine echte ökologische Neuorientierung in unserer Stadt. Der von uns dazu erarbeitete Handlungskatalog soll mithelfen, unsere Heimatstadt jetzt zukunftsfähig aufzustellen.
Getragen sind die darin genannten Maßnahmen von dem Leitgedanken, gut und bewusst zu leben statt viel zu haben. Wie wird heute Gemeinwohl generiert? Was brauchen wir, um glücklich zu sein. Worauf müssen wir und worauf können wir gerne verzichten?
Wir wollen den Blick auf einige aus unserer Sicht drängende Zukunftsfragen richten. Auch diese sind, ähnlich wie die Herausforderungen des Corona-Virus, nur durch entschlossenes Handeln auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beantworten.
Unsere Erwartungen an eine neue Stadtpolitik:
1. Landwirtschaft
– Städtische Ackerflächen sollen bei einer Neuverpachtung bevorzugt für den Biolandbau genutzt werden.
– Besonders der zweite Grünring besteht aus landwirtschaftlichen Flächen. Diese sollen nach den Kriterien des ökologischen Landbaus bewirtschaftet werden.
– Bei der Verpflegung im Bereich der öffentlichen Hand werden mindestens 50 Prozent und danach ein weiter wachsendender Anteil an Bio-Lebensmitteln verwendet, die nach Möglichkeit regional und saisonal gewonnen werden.
2. Energiewende/Klimaschutz
• Ingolstadt braucht in regelmäßigen Abständen eine Bilanz über den Einsatz der tatsächlich hier verbrauchten Primär- und elektrischen Energie sowie der dafür eingesetzten Energieerzeugung und der damit verbundenen Klimabelastung.
• In kommunalen Gebäuden, in Gebäuden der öffentlichen Verwaltung und von Gesellschaften in kommunaler Hand oder mit kommunaler Beteiligung werden die Energieeinsparpotenziale jährlich steigend ausgeschöpft. Alle Möglichkeiten, die das Baurecht zum Energiesparen bietet, werden dabei genutzt; bei Neubauten ist das „Plus Energiehaus“ Standard für die Planung; kommunale Wärmepläne werden aufgestellt und in der Bauleitplanung wird das Pariser 1,5°-Grad-Klimaziel eingehalten.
• Die Stadtwerke Ingolstadt orientieren sich zukünftig in ihrer Ausrichtung an den Pariser Klimazielen und folgen daher bei der Nutzung erneuerbarer Energien einem kontinuierlich zunehmenden Ausbaupfad.
• In einem verbindlichen Leitplan für eine effiziente, erneuerbare, klimaverträgliche und dezentrale Energiewende werden den BürgerInnen mehr Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten als bisher eröffnet (Energiegenossenschaften etc.).
• Die Stadt schafft eine Stelle für Klimaschutzmanagement, die ein neues integriertes Klimaschutzkonzept (IKSK) für Ingolstadt umsetzt. Ingolstadt bietet zukünftig eine umfassende Initial-Beratung Energie, auch für den Gebäudebestand, sowohl für Mieter als auch für Eigentümer und Bauherren an. Neue Baugebiete werden ab sofort mit entsprechenden Vorgaben ausgewiesen: Wärmedämmung, Nutzung erneuerbarer Energien, Bepflanzung, wenig Versiegelung, etc.
3. Artenvielfalt, Landschaftsschutz und Lebensraum Wasser
• Kommunale Flächen sind ein Vorbild zur Förderung der Artenvielfalt. Die Kommune setzt den Biotopverbund um, gewährleistet Pestizidfreiheit und entwickelt geeignete kommunale Wälder zu Naturwäldern.
Das bedeutet konkret:
• Ökologisches Management für alle kommunalen Flächen, u.a. mit Pestizidverzicht, eingeschränktem Mähen etc.
• Monitoring dieser Flächen durch den neu zu gründenden Landschaftspflegeverband
• Ein Innerstädtischer Biotopverbund mit zusammenhängenden Biotopen als ökologische Trittbretter soll entstehen, inklusive Lohen-Management und Ausweitung von bestehenden Landschafts- und Naturschutzschutzgebieten.
• Besonders die wertvolle Auenlandschaft zwischen Ingolstadt und Neuburg soll durch die Einrichtung von Schutzgebieten gemäß dem Natur- bzw. Waldgesetz als Teil eines zukünftigen Großschutzgebietes Donauauen geschützt werden. Dieser Donauverbund muss sich von Neuburg bis in die Stadt Ingolstadt hineinziehen. Hier soll durch die Einstellung der Bewirtschaftung, durch die Vernetzung von Fluss und Aue, die Anbindung der Altarme und die Weiterführung des Lohenprogramms die Artenvielfalt stabilisiert werden.
• Das Weinzierlgelände, das im Stadtbereich direkt an der Donau liegt, muss renaturiert werden; es soll als Hochwasser- Retentionsraum genutzt werden; die Altlasten auf dem Gelände müssen saniert und der Entwässerungsgraben geöffnet werden.
• Das Auwaldband soll bis in die Stadt durchgängig erhalten bzw. wiederhergestellt werden; ausschließlich eine ökologisch verträgliche Nutzung soll ermöglicht werden.
• Gewässer 3. Ordnung im Stadtgebiet müssen in ihrer Natürlichkeit erhalten werden. Ein Gewässerentwicklungsplan ist zu erstellen mit Rahmenbedingungen, Maßnahmen und Projekten zur ökologischen Entwicklung und Restrukturierung der Gewässer, z. B. im Schuttertal, Schuttermoos und am Augraben.
• Bei Baumaßnahmen und Grünplanung (privat und gewerblich) soll Animal Aided Design standardmäßig berücksichtigt werden.
• Nächtliche Beleuchtung soll reduziert werden und dadurch die Lebenswelt für nachtaktive Tiere verbessert werden. Die gesamte Straßenbeleuchtung Ingolstadts soll auf spezielle LED-Leuchtmittel umgestellt werden, die die Insekten nicht anlocken. Die Reflektoren sind dabei so einzustellen, dass möglichst nur der Weg/die Straße erleuchtet werden.
• Die Baumschutzverordnung und die Durchgrünungskonzepte werden im Hinblick auf die Verbesserung des Artenschutzes überarbeitet, um das lokale Klima, die Lebensqualität der Bevölkerung und den Artenschutz im besiedelten Raum zu verbessern.
Besonders wichtig und vorrangig für den Artenschutz ist die Gründung eines Landschaftspflegeverbandes als Basis einer koordinierenden Institution für Landschaftspflege und Umweltbildung, um die Biodiversität nachhaltig für die nächsten Generationen zu erhalten.
4. Flächenschutz
• Die bayerische Kompensationsverordnung muss praktisch umgesetzt werden: Ausgleich von Eingriffen durch Bauprojekte, konsequente Umsetzung von Ersatzmaßnahmen und ein neues langfristiges Monitoring. Die Ausgleichsverpflichtung muss im Ökoflächenkataster lückenlos dokumentiert und überprüft werden.
• Keine Bebauung in Landschaftsschutzgebieten, Biotopen, Parks und im ersten und zweiten Grünring. Letzterer ist mit Bebauungsplan und parzellenscharfer Trennung zum bebauten Innenbereich festzuschreiben.
• Der Flächenverbrauch bei Verkehrsprojekten, wie z.B. Ausbau B 16 bei Unsernherrn und Staatsstraße 2214 Ingolstadt-Friedrichshofen- Irgertsheim, muss auf ein umweltverträgliches Maß reduziert werden. Gegebenenfalls sind funktionelle Einschränkungen zu akzeptierten.
• Kein Verkauf mehr von städtischen Grundstücken an Meistbietende, sondern nur noch Vergabe der Bauflächen in Erbpacht.
• Für die Ausweisung neuer Baugebiete gilt eine ökologische und sozialverträgliche Grundausrichtung.
5. Mobilität
• Integrierte Verkehrsentwicklungspläne werden erstellt. Rad- und Fußverkehr haben Vorrang, unterstützt durch einen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), der mindestens von 05:00 bis 00:00 eine Mobilitätsgarantie bereitstellt
• Komplette Neuausrichtung des ÖPNV mit Erhöhung der Taktfrequenz, einem dichteren Streckennetz mit Quer- und Direktverbindungen.
• Das Parkplatzangebot für Autos wird verringert, Stellplatzverordnungen werden entsprechend angepasst, autofreies Wohnen und die Stadt der kurzen Wege ermöglicht.
• Erweiterung der Fußgänger-/Radfahrzonen mit Ladestationen für E- Bikes. Fahrradnetz mit Radschnellwegen und Vorrangrouten für Fahrradfahrer vorrangig umzusetzen.
6. Sozial-ökologische Transformation
• Die Gemeinwohlbilanzierung ist Leitlinie für das Wirtschaften und die Bemessung des Wohlstandes.
• Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an schulischen und außerschulischen Lernorten wird verstärkt gefördert.
• Die Bürgerbeteiligung wird gestärkt und Gestaltungsspielräume für die Bürger werden dadurch erweitert.
• Alle für den Umwelt- und Klimaschutz zuständigen Ämter sollen in einem eigenständigen Referat zusammengefasst werden: Diesem Referat für Umwelt- und Klimaschutz sollen das Umweltamt, das Forstamt und das Gartenamt zugeordnet werden.
• Die Stadt Ingolstadt tätigt keine Investitionen mit kommunalen Geldern in ökologisch und sozial schädliche Geldanlagen und Förderprojekte, bestehende werden zurückgezogen oder laufen aus. In ihrer Nachhaltigkeitsagenda soll sich die Stadt Ingolstadt an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen – 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht – orientieren, die konkreten Ziele gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern erarbeiten und dann auf kommunaler Ebene bei allen Planungen und Handlungen umsetzen.
Diese Nachhaltigkeitsagenda Ingolstadt muss in ihren Zielen und daraus abgeleiteten Maßnahmen in einem stetigen Prozess angepasst werden.
So sollten auch die vorgeschlagenen Maßnahmen aus dem Handlungskatalog des Bund Naturschutz Eingang in die Nachhaltigkeitsagenda finden.