Zwischen Narzissmus und Minderwertigkeitskomplexen: Incel, die unterschätzte Gefahr
Incel ist die Selbstbezeichnung einer in Amerika entstandenen Subkultur heterosexueller Männer, die nach eigener Aussage unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr oder keine romantische Beziehung haben. Ihre Haltung ist geprägt von Frauenfeindlichkeit (Misogynie), dem Anspruch auf sexuellen Kontakt sowie ausgeprägtem Selbstmitleid. Incels sehen sich als Opfer einer liberalisierten Gesellschaft, in der Frauen angeblich eine „unangemessene“ Freiheit in der Partnerwahl genießen. In Internetforen diskutieren und propagieren sie offen ihren Hass auf Frauen. Teile der Szene billigen nicht nur Gewalt, sondern wenden sie auch gegen Frauen und sexuell aktive Männer an.
Gewalt als Ausdruck von Frauenhass
Experten gehen davon aus, dass allein in den USA und Kanada seit 2014 mindestens 50 Todesopfer auf das Konto von Incels gehen. Einer der bekanntesten Täter ist Elliot Rodger, der am 23. Mai 2014 drei Kommilitonen in seiner Wohnung tötete, anschließend zum Haus der Studentinnenverbindung Alpha Phi fuhr und dort weitere Gewalttaten beging. In einem 141 Seiten langen Manifest fantasierte er davon, Frauen in Konzentrationslagern zu internieren und auszuhungern, lediglich wenige Frauen sollten mittels künstlicher Befruchtung für Nachwuchs sorgen, um nach und nach deren „dekadente Natur“ auszumerzen.
Auch in Deutschland gibt es Nachahmer: Der Attentäter von Halle, der seine Tat live ins Internet streamte, wählte die sogenannte „Incel-Hymne“ als musikalische Untermalung.



Digitale Gewalt beginnt früh
Christine Mudra wies darauf hin, dass Frauenfeindlichkeit das Leben vieler Frauen nachhaltig beeinflusst: Obwohl die Zahl der allgemeinen Gewaltdelikte seit Jahren rückläufig ist, steigt die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen kontinuierlich. Besonders soziale Medien sind mittlerweile ein Raum, in dem mehr als die Hälfte der jungen Mädchen Belästigungen erleben. Viele geben an, soziale Plattformen aus diesem Grund seltener zu nutzen oder sich mit eigenen Beiträgen zurückzuhalten. Digitale Gewalt trifft Mädchen teilweise bereits ab dem achten Lebensjahr. Eltern sollten daher sorgfältig abwägen, ob sie die Nutzung sozialer Medien in so jungem Alter erlauben wollen. Zum Nachdenken sollte anregen, dass selbst Spieleentwickler ihren eigenen Kindern den Zugang meist erst ab 16 Jahren erlauben.
Radikalisierung und politische Folgen
Auffällig sind die biografischen Gemeinsamkeiten vieler Täter: Es handelt sich häufig um junge Männer zwischen 22 und 27 Jahren mit Brüchen in ihrem Lebenslauf. Viele leben noch im Elternhaus, sind sozial isoliert und verbringen viel Zeit im Internet. Der ausgeprägte Frauenhass ist nicht selten der erste Schritt hin zu weitergehender Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.
Rechtspopulisten wie Maximilian Krah versuchen gezielt, diese verunsicherten jungen Männer durch falsche Behauptungen wie „Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin“ zu ködern. Der wachsende Einfluss dieser Szene spiegelt sich inzwischen auch im Wahlverhalten wider: Es sind zunehmend junge Männer, die rechtsradikale Parteien wählen.
Christine Mudra und das investigative theater
Christine Mudra ist eine deutsche Regisseurin, Autorin, Journalistin und Schauspielerin. Sie gründete das „investigative theater“, das sich auf die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und rechtem Terror spezialisiert hat. Mit ihr wurde die neue Reihe „Science Fiction/Science Reality“ eröffnet, die aktuelle Phänomene der digitalen Welt beleuchtet und untersucht, wie deren Einfluss unser Leben auch außerhalb des Netzes verändert – und wie man ihm möglicherweise entgegenwirken kann. (HaGa)