Interview: OB Christian Scharpf über gegenwärtige Probleme und die Zukunft.
Ingolstadt ist eine Oase
Vor drei Jahren hat Christian Scharpf das Amt des Oberbürgermeisters in Ingolstadt angetreten. Während er einen triumphalen Wahlsieg in der Stichwahl über seinen Amtsvorgänger Christian Lösel feiern konnte, errangen seine Sozialdemokraten nur neun von 50 Sitzen. Scharpf ist also ein Oberbürgermeister ohne Mehrheit und damit bei der Durchsetzung seiner Projekte auf die Mitwirkung anderer Parteien und Gruppierungen angewiesen. Doch nicht nur die bereiten ihm gelegentlich Sorgen; auch die Bürger haben bei einem Bürgerentscheid zwei wichtige Projekte, die im Stadtrat über große Mehrheiten verfügten, „gekippt“. Weder die dringend benötige Mittelschule noch die Kammerspiele können an den geplanten Standorten gebaut werden. Insbesondere die Ablehnung der Kammerspiele brachte Ingolstadt landesweit negative Schlagzeilen. Der Oberbürgermeister war nach der Bekanntgabe der Ergebnisse betroffen.
IN-direkt: Herr Oberbürgermeister, Sie hatten sich für den Bau der Kammerspiele an Schutterstraße/Donaunordufer stark gemacht. Das Ergebnis der Bürgerentscheide ist auch eine Niederlage für Sie. Haben Sie sich darüber ärgert und darüber nachgedacht, beruflich lieber wieder in München tätig zu sein, wo Kultur vielleicht auf mehr Akzeptanz trifft?
Christian Scharpf: Nein, das ist politisches Geschäft. Das muss man professionell sehen. Es war nicht mein Vorschlag, die sog. Kammerspiele an der Schutterstraße zu bauen. Als ich im Amt war, habe ich das neue kleine Haus an diesem Standort unterstützt. Immerhin waren bereits Planungskosten in Höhe von mehr als 4 Millionen Euro angefallen; es gab einstimmige Stadtratsbeschlüsse für diesen Standort und ich fand das Vorhaben auch gut.
Woran sind die Kammerspiele gescheitert?
Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger war leider nicht allzu groß. Die dagegen waren, die konnten ihre Anhänger mobilisieren. Das geschah teils auf eine sehr populistische Art und Weise. Man denke nur an das Plakat, auf dem suggeriert wurde, die Kinder würden auf der Straße stehen und für das Theater ein Palast gebaut.
Waren nur die kulturell nicht interessierten Bürger gegen die Kammerspiele?
Nein, es kamen auch Bürgerinnen und Bürger zu mir, die kulturell sehr interessiert sind und sagten, wir gehen gern ins Theater. Die waren aber unzufrieden mit der Entwicklung am Donau-Nordufer. Sie meinten: „Uns gefällt die Architektur vom Congress Centrum und vom Congress-Hotel überhaupt nicht. Wir wollen nicht, dass am Nordufer schon wieder etwas gebaut wird.“
Konnten Sie die Befürworter des Standortes und der Kammerspiele nicht erreichen, gibt es generell ein Kommunikationsproblem?
Ja, es ist mittlerweile auch ein generelles Problem. Es gibt heutzutage eine Reizüberflutung. Die Print-Auflagen von Medien nehmen ja immer mehr ab. Früher war es der Regelfall, dass die Leute die Tageszeitung abonniert haben. Das ist leider nicht mehr so. Ich merke selbst an mir, man schaltet manchmal einfach ab, weil die Informationsflut auf allen möglichen Kanälen einfach zu groß ist, von sozialen Medien im Internet über Radio, Fernsehen bis hin zu Papierformaten. Viele können gar nicht mehr aufnehmen, was in der Stadtpolitik so alles vor sich geht.
Das kulturelle Angebot ist sicher auch ein Faktor beim Wirtschaftsstandort Ingolstadt. Wie sieht es damit aus? Wie ist der Kontakt zu Audi?
Mit Audi haben wir einen sehr guten Kontakt. Ich bin im Kontakt mit Vorstandsmitgliedern. Außerdem treffen wir uns in regelmäßigen Abständen zum Standort-Infrastrukturkreis. Da sind dann die Werksleitung, städtische Referenten und Bürgermeisterinnen beteiligt und wir stimmen alle Themen ab, die Audi und die Stadt gemeinsam betreffen. Es geht zum Beispiel um Infrastrukturmaßnahmen, um Straßenbauprojekte aber auch um Kindertagesbetreuung.
Die Automobilindustrie steckt mitten in einem Transformationsprozess. Kann es sein, dass Audi in Ingolstadt in den nächsten Jahren Arbeitsplätze abbaut?
Das Konsolidierungsprogramm von Audi ist bereits abgeschlossen. Ich habe kürzlich erfahren, dass Audi jetzt wieder Stellen aufbaut, aufgrund des Fachkräftemangels sogar über Leiharbeit.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass Audi für die Zukunft sehr gut aufgestellt ist. Es gibt mitlerweile die Batteriefertigung im GVZ und die Produktionskette soll bis hin zur Fertigung von Bateriemodulen weiter ausgebaut werden. Wenn ich an CARIAD, die Softwareschmiede des VW-Konzerns, denke, bin ich auch guter Dinge. Zwar „rumpelt“ es dort im Augenblick. Aber das ist nicht überraschend, denn es ist ja ein Quantensprung für ein Automobilunternehmen, in das Softwaregeschäft einzusteigen, aber Audi und der VW-Konzern gehen da in die richtige Richtung.
Der wirtschaftliche Erfolg von Audi bzw. des VW-Konzerns ist für die Steuereinnahmen (Gewerbesteuer) der Stadt Ingolstadt von entscheidender Bedeutung. Wie zuverlässig sind diese Einnahmen aus der Gewerbesteuer?
Insgesamt sind die Einnahmen relativ stabil. Bei der Gewerbesteuer gab es natürlich Einbrüche durch Corona. Leider wird auch der Börsengang von Porsche negative Auswirkungen haben. Porsche hat ja immer hohe Gewinne erzielt. Diese kommen natürlich jetzt nicht mehr in den großen Topf des VW-Konzerns. Ab und an kommt auch eine große Nachzahlung, wie jüngst, also wir einen dreistelligen Millionenbetrag zurück bekommen haben. Das ist natürlich erfreulich, aber schöner wäre es, wenn die Gewerbesteuer gleichmäßig und kontinuierlicher fließen würde.
Soll das Gelände des IN-Campus ausschließlich von Audi genutzt werden?
Nein, Audi und die Stadt haben das gemeinsame Verständnis, dass auf dem Gelände ein offener Innovationscampus entstehen soll. Es muss aber schon passen. Die anzusiedelnden, innovativen Betriebe sollten in den Bereichen Mobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit unterwegs sein und in das Portfolio passen, müssen aber nicht zwingend direkt aus der Automobilindustrie kommen.
Ihr Amtsvorgänger Christian Lösel hat beim Wirtschaftsstandort Ingolstadt sehr auf Künstliche Intelligenz gesetzt. Das ist mit seinem Namen verbunden. Was soll nach Ablauf ihre ersten sechs Amtsjahre im Bereich Wirtschaftspolitik an Sie erinnern?
Für mich ist die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt eine Priorität. Daher war eine meiner ersten Amtshandlungen, dass wir in der Stadt mit Professor Georg Rosenfeld einen Wirtschaftsreferenten etabliert haben, der die Themen Wirtschaft und Wissenschaft wieder auf Referentenebene vertritt. In engem Austausch mit mir treibt Prof. Rosenfeld die Themen voran. Zum Beispiel: Wir haben gerade ein Transformationsnetzwerk für kleine und mittlere Unternehmen auf den Weg gebracht. Audi als großes Unternehmen schafft die Transformation in der Automobilindustrie auch allein. Aber was ist mit den über 100 kleinen und mittleren Unternehmen? Die brauchen Unterstützung. Für mich ist der Mittelstand sehr wichtig. Darüber hinaus sehe ich Wirtschaftspolitik für Ingolstadt auch vor allem als gute und breit aufgestellte Standortpolitik, also wie ist das Angebot unserer Stadt im Wettbewerb mit anderen im Bereich Bildung, Mobilität, bezahlbarem Wohnen, Kulturangebote, Lebensqualität und anderen Bereichen. Das hat mir auch die IHK beim Amtsantritt mit auf den Weg gegeben. Mit Vertreterinnen und Vertretern der Industrie- und Handelskammer treffe ich mich regelmäßig, auch die die Innungsmeister der Handwerkskammer sind regelmäßig bei mir zu Gast.
Für den Wirtschaftsstandort ist auch das Schulangebot wichtig. Wie sieht es hier aus?
Wir haben unseren Schwerpunkt tatsächlich auf die Bildungspolitik gelegt. In der Mittelfristplanung stehen 200 Millionen Euro und in der Langfristplanung 800 Millionen Euro zur Verfügung. Wir gehen die Themen beherzt an.
Seit Anfang der 10er-Jahre des Jahrtausends steigen die Schülerzahlen in Ingolstadt erheblich. Wir haben nun eine um ein Drittel höhere Geburtenzahl. In der Vergangenheit haben wir mit ca. 1200 Schülern pro Jahr gerechnet. Jetzt sind es 1600 pro Jahr. Und das ist kein Ausnahmefall, sondern das ist eine stabile Entwicklung. Die Grundschulen platzen aus allen Nähten. Wir müssen die kombinierten Grund- und Mittelschulen trennen. Wir bauen eigene Mittelschulen, damit die Grundschulen Erweiterungsmöglichkeiten haben. Ab 2026 besteht in Schulen zudem ein Anspruch auf Ganztagsbetreuung.
Da kommt bei der Vielzahl an Schulen eine Menge zusammen. Auch hier wieder das Stichwort „Standortpolitik“ für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Es kommt niemand nach Ingolstadt, um hier zu arbeiten, wenn es heißt, bei denen regnet es zum Dach herein in den Schulen.
Was gibt es noch für Herausforderungen?
Was noch oben draufkommt, sind die Lehrschwimmbäder, die erneuert werden müssen. Hier sagen manche aus den anderen Parteien: „Wir haben doch früher auch was gemacht.“ Ja, wenn eine Pumpe kaputt war, dann wurde die ausgetauscht. Aber: Das reicht doch nicht, wenn unten die Stahlträger zusammenrosten. Da hätte man schon früher grundlegend sanieren müssen. Das kommt jetzt auch noch dazu. Mindestens 30 Millionen müssen wahrscheinlich für die Erneuerung der Lehrschwimmbäder veranschlagt werden.
Thema Arbeitskräfte: Ist es richtig, dass sie inzwischen aus dem Ausland Arbeitskräfte anwerben?
Ja, an Arbeits- und Fachkräften fehlt es an vielen Ecken. Was Pflegekräfte betrifft, kommen jetzt auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Philippinen und aus Brasilien zu uns ans Klinikum. Wir suchen auch in der EU nach Erzieherinnen für Kindergärten und Kitas.
Nach so vielen Problemen: Wo sehen Sie die Stärken von Ingolstadt?
Unser ganz großes Plus ist unsere hohe Lebensqualität. Ingolstadt ist eine Großstadt im Grünen. Wir sind keine urbane Stadt. Man verlässt kaum die Altstadt und ist sofort in den Donauauen. Ingolstadt ist auch eine familienfreundliche, eine entschleunigte Stadt. Wenn Sie das mit München vergleichen: Dort brauchen sie gute Nerven! Ich möchte fast sagen, wir sind im Vergleich mit anderen Städten eine Oase. Hier kann man als junge Eltern Kinder wirklich gut aufziehen. Und es gibt auch gut bezahlte Jobs. Man kann hier einfach gut leben – mit ausgezeichneter Infrastruktur: Vom ICE-Halt, über den direkten Autobahnanschluss bis zur Nähe zum Flughafen. Ich würde fast sagen: Besser geht’s nicht!
Nach diesen lobenden Worten für die Stadt ist es nur eine Frage um der Vollständigkeit Willen: Treten Sie 2026 wieder als Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters bei der Kommunalwahl an?
Ich habe die Absicht, habe mich aber noch nicht endgültig entschieden.
Anmerkung: Der Wortlaut des Interviews wurde vom OB-Büro autorisiert. Das Interview führte Hermann Käbisch.