Titelthema: Wahlen in der Türkei – Türkinnen und Türken in Deutschland stimmen ab
Am 14. Mai finden in der Türkei die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Nach mittlerweile 20 Jahren an der Macht (2003 Wahl zum Ministerpräsidenten, 2014 Wahl zum Staatspräsidenten) legen aktuelle Umfrageergebnisse nahe, dass es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seinem Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu kommen könnte. Kılıçdaroğlu tritt als gemeinsamer Kandidat für sechs Oppositionsparteien unterschiedlicher Lager an.
Von den rund 64 Millionen wahlberechtigten Türkinnen und Türken leben rund drei Millionen im Ausland, 1,5 Millionen davon in Deutschland. Auch im Ausland lebende türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger dürfen seit 2012 in Wahllokalen außerhalb der Türkei an der Wahl teilnehmen. Vom 27. April bis 9. Mai konnte bundesweit in den türkischen Generalkonsulaten größerer Städte per Stimmzettel abgestimmt werden.
Auch in Ingolstadt leben viele Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft. Aus der Türkei sind zwar im Jahr 2022 mit 139 Personen nur am siebt meisten Menschen nach Ingolstadt zugewandert, die türkische Staatsbürgerschaft ist aber trotzdem die am häufigsten vertretene ausländische Staatsbürgerschaft in der Stadt. Die knapp 5.000 Türkinnen und Türken machen so rund 3,5 Prozent der Bevölkerung aus.
Ihre Stimme abgeben konnten die wahlberechtigten Türkinnen und Türken allerdings nicht in Ingolstadt selbst. Nächstgelegen ist das Wahllokal in München, die anderen Wahllokale für die rund 170.000 in Bayern lebenden, wahlberechtigten Türkinnen und Türken befanden sich in Regensburg und Nürnberg.
Hintergründe zur Wahl Ursprünglich hätte die diesjährige Wahl erst im Juni stattfinden sollen. Nach dem Willen des amtierenden Präsidenten Erdoğan wurde sie allerdings um einen Monat auf den 14. Mai vorverlegt. Begründet wurde die Verlegung durch die Regierung mit der Pilger- und Ferienzeit. Beobachter vermuten aber taktische Gründe.
Denn die Lage in der Türkei ist schwierig: Nach den verheerenden Erdbeben Anfang des Jahres sieht sich Erdoğan zunehmend starker Kritik ausgesetzt. Neben den zahlreichen baulichen Mängeln, die viele der eingestürzten Gebäude aufwiesen, macht auch die hohe Inflation von aktuell rund 50 Prozent nicht nur der Bevölkerung, sondern auch Erdoğans Ruf zu schaffen.
Eingeschränkte Möglichkeiten für Erdbebenopfer
Auch bezüglich der Wahl selbst gibt es Bedenken seitens der Bevölkerung. Hunderttausende der durch die Erdbeben vertriebenen Menschen sind in anderen Teilen des Landes untergekommen, müssen aber dort wählen, wo sie vor dem Beben gemeldet waren. An einem neuen Ort registriert hat sich lediglich ein kleiner Teil der Geflohenen, für die anderen bleibt offen, ob in ihrer ursprünglichen Heimat die Infrastruktur für Wahlen vorhanden ist und ob sie für die Wahlen zurückreisen oder keine Stimme abgeben.
Und nicht nur die Wahl selbst könnte Problemen unterliegen, auch der Wahlkampf lief laut Opposition nicht fair ab. Ein Großteil der Medien in der Türkei stehen unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung, weshalb eine ausgewogene Berichterstattung im Vorfeld der Wahl zu bezweifeln ist. Auch die zur Verfügung gestellten Mittel waren nicht gleich verteilt.
Ablauf der Wahl
Wahlberechtigt sind nur türkische Bürgerinnen und Bürger, die im Wählerverzeichnis registriert sind. Über die Internetseite des Hohen Wahlausschusses (YSK) konnte seit dem 20. März überprüft werden, ob ein Eintrag vorliegt. Bis zum 2. April konnte dieser über türkische Auslandsvertretungen nachgeholt werden. Laut BR wurde einigen kurdischen Geflüchteten der Eintrag in das Wählerverzeichnis verwehrt, da sie keinen Pass vorweisen konnten.
Im Vorfeld waren zudem viele Wahllokale nicht genehmigt worden, sodass bundesweit nur an 17 Stellen überhaupt gewählt werden kann – nicht einmal jedes Bundesland hat ein eigenes Wahllokal: Wer beispielsweise im Saarland wohnt und wählen möchte, muss auf Karlsruhe oder Mainz ausweichen. Eine Briefwahl ist nicht möglich, da das türkische Recht diese untersagt. Nachdem die Abstimmung beendet ist, werden die Stimmzettel in die Türkei ausgeflogen und dort ausgezählt. Über die Wahlbeteiligung in Deutschland lebender Türkinnen und Türken liegen für die aktuelle Wahl noch keine Zahlen vor, bei der letzten Wahl im Jahr 2018 lag sie bei rund 50 Prozent.
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Kommentar
Erdoğans treue Fans
Laut aktuellen Umfragen scheint kein Ausgang der Wahl wahrscheinlicher zu sein als der andere. Die Prognosen schwanken je nach Meinungsforschungsinstitut stark und sehen für beide Kandidaten reelle Chancen. Dass es trotz all der Stolpersteine, die der Opposition in den Weg gelegt wurden, noch kein eindeutiges Ergebnis gibt, ist sowohl Grund zur Hoffnung als auch gleichermaßen erschreckend. Hoffnung, dass nun doch eine Zeitenwende eintreten könnte, aber auch Erstaunen darüber, was noch alles passieren muss, bevor Erdoğans Ansehen schwindet. Denn eins ist klar: Er hat treue Anhänger und Anhängerinnen, auch und sogar besonders in Deutschland. Wer darüber hinwegsehen kann, dass politische Gegner, Journalistinnen und Journalisten inhaftiert werden und politische Kontrollorgane mit „loyalen Mitgliedern“ besetzt werden, um Erdoğan den Weg zu ebnen, wird die Meinung so bald wohl nicht ändern.
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- Titelthema: Wahlen in der Türkei: Gerd Altmann/Freepik