Titelthema: Wenn Kinder kriminell werden
Ursachen, Vorbeugung und die Frage nach der Schuld
Ein Mordfall aus Freudenberg geht um die Welt. Am 11. März sollen ein zwölfund ein 13-jähriges Mädchen die ebenfalls zwölfjährige Luise aus Freudenberg getötet haben. Hintergründe zur Tat sind, um die Kinder zu schützen, kaum bekannt. Doch der Fall wirft Fragen auf: Weshalb werden Kinder zu Mördern, was kann präventiv unternommen werden, und ist es gerechtfertigt, dass Kinder unter 14 vor dem Gesetz noch nicht schuldfähig sind?
Bevor wir diesen Fragen auf den Grund gehen, werfen wir zuerst einen Blick auf die Polizeiliche Kriminalstatistik. In Oberbayern ist die Gesamtzahl der Straftaten 2022 im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Jahr 2019 leicht gesunken, München ist zum 47. Mal in Folge die sicherste Großstadt in Deutschland und in Ingolstadt sind sogar die Fallzahlen im Bereich der Internetkriminalität um 7,5 Prozent gesunken. Anders steht es um die Gewaltkriminalität, also Delikte wie Mord, Totschlag, Körperverletzung oder Vergewaltigung. Im Vergleich zu 2019 stieg die Zahl um 3,3 Prozent.
Die bundesweite Entwicklung der Delinquenz junger Menschen wird jährlich in der Broschüre „Zahlen – Daten – Fakten: Jugendgewalt“ vom Deutschen Jugendinstitut betrachtet. Die Fallzahlen sämtlicher Delikte junger Menschen bis 25 unterliegen dabei seit Jahren kleineren Schwankungen. Im Bereich der einfachen Körperverletzung sind für das Jahr 2021 dagegen deutliche Abnahmen von zehn bis 20 Prozent zu verzeichnen, und das über alle Altersgruppen junger Menschen hinweg. Aber ist dieser Trend auch bei der Entwicklung der Gewaltdelikte junger Menschen sichtbar?
Auch die Zahlen der Gewaltkriminalität junger Menschen waren im Jahr 2021 rückläufig. Auffällig ist lediglich ein geringer Anstieg der Delikte in der Altersgruppe unter 14 Jahren. Den kleinsten Anteil der Gewaltdelikte nehmen die Straftaten gegen das Leben ein. 2021 wurden bundesweit 19 Fälle tatverdächtiger Kinder unter 14 Jahren erfasst. Wer trägt für solche Fälle die Verantwortung und welche Kinder neigen zu Gewalt?
Faktor Erziehung
Schon lange ist klar: Angeborene Charakterzüge prägen zusammen mit Erlebnissen in der frühesten Kindheit das Verhalten eines Menschen und haben einen wesentlichen Einfluss darauf, ob jemand kriminell wird. Die angeborenen Charakterzüge lassen sich nicht beeinflussen, die Erlebnisse in der Kindheit schon. Hierbei spielt die Erziehung eine wichtige Rolle: Wenn Eltern ihren Kindern vorleben, dass Gewalt ein probates Mittel zur Problemlösung ist, setzen diese es mit höherer Wahrscheinlichkeit auch selbst ein. Werden Kinder geschlagen (was auch eine Straftat ist), wird die erlebte Machtlosigkeit häufig durch Gewalt an anderen Kindern kompensiert.
Leidenserfahrung der Täter und Täterinnen
Auch Armut oder kaputte Familienstrukturen können für Kinder und Jugendliche zwar den Start einer kriminellen Karriere begründen, weshalb Kinder zu Mördern werden, erklären sie aber nicht. Kriminologe Christian Pfeiffer betont gegenüber Focus, dass all diese extremen Einzelfälle die eigene Leidenserfahrung der Täter und Täterinnen gemein haben. Die Täter und Täterinnen seien immer zuerst auch Opfer gewesen, wodurch sich Hass, Wut und das Gefühl der eigenen Ohnmacht entwickelt haben. Auch können Kinder, je nach Entwicklungsstand, die Folgen ihrer Tat nicht absehen. Aus diesem Grund sind Kinder unter 14 Jahren strafunmündig und können selbst für schwerste Verbrechen nicht belangt werden. Dies wird aktuell auch von vielen Seiten kritisiert.
Fremderziehung
Nicht nur Eltern sind für die Erziehung und das soziale Umfeld relevant. Auch die Fremdbetreuung in Kita, Kindergarten oder Schule nimmt heute mehr denn je einen großen Anteil bei der Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes ein. Die Zahl der in Tageseinrichtungen betreuten Kinder ist, vor allem in der Altersgruppe unter drei Jahren, in den letzten Jahren deutlich gestiegen, innerhalb der vergangenen 14 Jahren hat sie sich sogar verdoppelt. Umso wichtiger ist es, dass auch hier eine angemessene Kinderbetreuung gewährleistet wird. Doch diese ist aufgrund von Personalmangel in deutschen Kindertageseinrichtungen immer seltener möglich. Eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks unter Aufsichtsbehörden im Freistaat zeigt zudem einen Anstieg gemeldeter Fälle seelischer und körperlicher Gewalt gegen Kinder in Kitas. Der Mangel an Fachkräften verstärke diesen Risikofaktor.
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Kommentar
Schuldfähigkeit ist Einzelfallentscheidung
Die Frage nach der Schuldfähigkeit der Täter und Täterinnen bei einem Delikt wie kürzlich in Freudenberg lässt sich allgemeingültig nicht klären. Denn, und darauf plädieren Expert/innen in dieser Sache immer wieder, jeder Fall muss einzeln betrachtet werden. Das aktuelle Geschehen hat viel öffentliches Interesse auf sich gezogen und eine Debatte über die Altersgrenze der Strafmündigkeit ausgelöst. Laut Gesetz sind Kinder unter 14 Jahren nämlich noch schuldunfähig. Im Raum steht die Befürchtung, die Täter und Täterinnen müssten so keine Konsequenzen fürchten. Maßnahmen des Familienrechts sowie des Kinder- und Jugendhilferechts können aber auch bei unter 14-Jährigen getroffen werden und umfassen etwa die Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen. Der Wunsch, jetzt etwas an der Ausgangslage zu ändern, ist verständlich, das Alter der Strafmündigkeit zu senken aber der falsche Weg.
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