Früher Bewohnerin, heute Erzieherin
Früher Bewohnerin, heute Erzieherin
Carla Stohbach arbeitet in einer Wohngruppe für Jugendliche, in der sie früher lebte
In ihrer Jugendzeit geriet das Leben von Carla Strohbach aus den Fugen. Ihre Mutter litt unter starken Depressionen. Carlas Noten an einem Ingolstädter Gymnasium verschlechterten sich. In der 9. Klasse drehte sie ihre erste „Ehrenrunde“. „Das Schicksal meiner Mutter, zu der ich bis heute ein sehr enges und gutes Verhältnis habe, hat mich sehr bewegt. Ich wusste nicht mehr, was los ist. Bald wurde mir aber klar, dass jede von uns erst einmal ihre eigenen Baustellen selbst bearbeiten muss“, erzählt die heute 27-Jährige. Carla zog zunächst zu einem Freund. Nach einem halben Jahr vermittelte sie das Jugendamt in die Außenwohngruppe (AWG) für Jugendliche des Caritas-Kinderdorfes Marienstein in Ingolstadt. Dort wohnen Jugendliche mit individuellen und familiären Schwierigkeiten.
„Sprung ins Ungewisse“
Anfangs hatte Carla „großes Bauchweh bei diesem Sprung ins Ungewisse“. Doch dann lebte sie sich dort immer besser ein und es ging aufwärts in ihrem Leben. Zu verdanken hat sie das nach eigenem Bekunden vor allem ihrem damaligen Bezugsbetreuer „Peyer“. So nennen alle im Haus Walter Meyer-Schraufstetter, der heute Gruppenleiter ist. „Sein Wesen und seine Art haben mir ganz viel gegeben. Er war die Stütze für mich“, sagt Carla und ergänzt: „Ohne ihn würde ich heute nicht wieder hier sitzen.“ Denn seit dem Jahr 2019 ist Carla Strohbach wieder in der AWG, nun als Erzieherin. „Peyer hat mir gezeigt, was ein guter Erzieher tun kann und in mir auch die Berufung für diesen Beruf geweckt.“
Dieser verlor Carla Strohbach auch nicht aus den Augen, als sie mit 17 in eine eigene Wohnung zog. Er unterstützte sie in ihrem Wunsch, auch auf dem Gymnasium zu bleiben, als andere ihr einen Wechsel auf die Mittelschule nahelegten. Er stand ihr zur Seite, als das Jugendamt Ingolstadt Carla nach dem Auszug in die eigene Wohnung kein Haushaltsgeld zahlte und sie deshalb zur Hartz IV-Empfängerin wurde – was die damalige Schülerin sehr schmerzte. Als sie beim ersten Anlauf das Abitur nicht bestand, ermutigte er sie, es nochmals zu probieren, womit sie Erfolg hatte. „Peyer“ hat auch großen Anteil daran, dass Carla danach eine auf drei Jahre verkürzte Ausbildung zur Erzieherin absolvieren konnte, bei der die junge Frau ein monatliches Gehalt bezog, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Und er holte sie schließlich 2019 als einzige Erzieherin in sein Team in der AWG, in dem ansonsten nur Sozialpädagoginnen und –pädagogen arbeiteten. „Da war ich regelrecht Feuer und Flamme, als ich diese Chance bekam“, beschreibt Carla ihre damalige Freude.
Walter Meyer-Schraufstetter sieht unterdessen den Grund für den erfolgreichen Lebensweg von Carla Strohbach, die vor kurzem noch ein Fernstudium in „Soziale Arbeit“ begann, zum Großteil bei ihr selbst. „Sie ist sehr zielstrebig, selbstbewusst und zuverlässig.“ Die Erzieherin hat vor allem aber einen Vorteil, den andere in ihrem Beruf nicht haben: Sie kennt die Situation der ihr anvertrauten Jugendlichen aus eigener Erfahrung.
Und das wissen diese zu schätzen. „Carla versteht viele Dinge, die mich stören“, erklärt die 19-jährige Tessa, die eine Ausbildung zur Schreinerin in den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten Ingolstadt absolviert. Tessa mag Carla vor allem, „weil sie sehr einfühlsam ist“ und „weil man mit ihr ganz viele Sachen machen kann. Am Wochenende veranstalten wir oft Filmabende und spielen zusammen Activity“.
Bei Spielen ist die Erzieherin offenbar sehr vielseitig veranlagt. Der 16-jährige Vito, der vor kurzem aus der Wohngruppe auszog, aber ab und zu noch zu Besuch kommt, spielt mit ihr öfters Billard und Darts. „Sie kommt immer fröhlich zu uns. Sie ist immer motiviert“, lobt auch er sie in höchsten Tönen. Einen besonders engen Draht entwickelte Carla Strohbach zu Anja (19), deren Bezugsbetreuerin sie bis vor kurzem war. Diese erzählt: „Mir ging es hier am Anfang ganz schlecht. Carla hat das gemerkt, weil sie das ja selbst gekannt hat, wie schwer es ist, wenn man hier einzieht.“ Und das war für Anja der Knackpunkt, bei dem sie gemerkt hat: „Wow, die versteht mich wirklich, die kann nachvollziehen, wie ich mich gerade fühle. Und das hat mir sehr geholfen.“
Reden „auf Augenhöhe“
Carla Strohbach liebt ihren Beruf „auch weil der ganz breit gefächert ist“. Fragt man sie danach, was ihre Aufgabe als Erzieherin in der AWG ist, antwortet sie schlicht: „Wir machen das, was ein Elternteil macht, aber für neun Jugendliche, die ihr eigenes individuelles Päckchen zu tragen haben. Und dazu kommt zum Beispiel Zusammenarbeit mit Jugendämtern, Polizei, Gericht und Elternarbeit.“ Dass die jungen Menschen in ihr aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit in der AWG eine ganz besondere Erzieherin sehen, freut sie. Und sie bestätigt: „Ich habe auch das Gefühl, dass ich mit ihnen auf Augenhöhe reden kann.“