Diverse Premieren im Stadttheater
Diverse Premieren im Stadttheater
Premiere: Eleos
Eine Empörung in 36 Miniaturen Caren Jeß
Regie und Video: Lisa-Maria Schacher Ausstattung: Manuela Weilguni
Mit: Olaf Danner, Matthias Gärtner, Sebastian Kremkow, Theresa Weihmayr
»Eleos« bedeutet in der griechischen Mythologie die Perfektionierung des Mitleids. Aber um Mitleiden geht es nicht. »Eleos« ist eine Partitur aus Hass. Auf kleinstem Raum. Hier treffen die Wütenden aufeinander. Ungeduld, Antipathie, Intoleranz, Missgunst, und Schadenfreude zeichnen sie aus. Dabei sind einige der Grollenden nicht ansatzweise dazu fähig, einen klaren Gedanken zu fassen oder einen Satz korrekt zu Ende zu führen. Da purzelt und gluckert es mitunter völlig sinnentleert daher. Egal! Hauptsache Dampf ablassen. Sie regen sich auf über Dosenpfand, Klimaschutz, Linke oder Rechte, Feministinnen und zu komplizierten Sex. Sie sind Teil einer komfortablen Gesellschaft und jammern auf hohem Niveau, denn sie profitieren vom Massenkonsum, nehmen soziale Unterschiede in Kauf und sie sind zu Gewalt bereit.
Caren Jeß ist eine scharfe Beobachterin des Alltäglichen. In 36 Miniaturen reden sich die Protagonist*innen in Rage und um den Verstand. Mit hohem Tempo und in einem nahezu musikalischen Rhythmus kommen die skurrilen Mini-Szenen daher. In ihnen steckt viel Humor. Jede Szene ist präzise auf die Schlusspointe zugespitzt.
»Die Autorin schaut den Empörten schonungslos aufs Maul. Sehr vergnüglich wird es dann, wenn die Figuren sich mal wieder hoffnungslos verheddern und sich selbst ad absurdum führen«, sagt Lisa-Maria Schacher.
Premiere: 10. Dezember 2022, Studio im Herzogskasten
Caren Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, studierte Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur in Freiburg und Berlin. 2018 gewann sie die Residency des Münchner Förderpreises für deutschsprachige Dramatik mit »Bookpink«. Mit der Grazer Uraufführungsinszenierung von »Bookpink« wurde sie 2020 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert und zur Nachwuchs- dramatikerin des Jahres erklärt. Im Jahr davor gewann sie außerdem den Else-Lasker-Schüler-Stückepreis für ihr Stück »Der Popper« und den Preis der taz-Publikumsjury des 26. open mike für »Die Ballade von Schloss Blutenburg«. Caren Jeß lebt in Dresden.
Lisa-Maria Schacher leitet seit Februar 2021 gemeinsam mit Niko Eleftheriadis die Sparte X des Stadttheaters. Dort produzierte sie mit ihm u.a. die Webserie »DASHAUS«, sowie die interaktive multi-mediale Serie »SPAM«. Auch entstanden verschiedene Livestream-Formate wie z.B. das »LATENIGHTDINGS« sowie die Performance »72h«, in welchen sie neben der Produktion auch die Live-Regie führte. Zuvor war sie seit 2018 als Regieassistentin engagiert. Am Stadttheater Ingolstadt inszenierte sie bereits »Die Geschichte meiner Einschätzung am Ende des dritten Jahrtausends«
Premiere: Fegefeuer in Ingolstadt Schauspiel von Marieluise Fleißer
Regie: Schirin Khodadadian Bühne und Kostüm: Carolin Mittler
Mit: Sascha Römisch, Sarah Horak, Sarah Schulze-Tenberge, Peter Rahmani Enrico Spohn, Philip Lemke, Judith Nebel
Im provinziell purgatorisch pubertären Pöbel einer Kleinstadt versucht sich die in den Schulferien vom polemischen Peps geschwängerte Olga zu behaupten. Ihr gegenüber gestellt ist der räudige Roelle, der von seinen Mitschülern malträtiert, um Geld geprellt und von seiner liebessehnsüchtigen Mutter ausgenutzt wird. Schuldlos schuldig prallen diese beiden randständigen Rädchen in einer geißelnden Gesellschaft gegeneinander, ineinander und am Ende vollends voneinander ab. Es ist ein Fegefeuer, in das diese Jugend hier hineinwächst. Die sie umringenden Umstände, das menschliche Miteinander und die unmenschliche Unterwürfigkeit und Hackordnung in bigotten Bereichen können katastrophale Konsequenzen haben. »Fegefeuer in Ingolstadt« – eine abenteuerliche Reise in das Herz einer außergewöhnlichen Stadt: komisch, tragisch, spannend und provozierend.
»Marieluise Fleißer ist die größte Dramatikerin des zwanzigsten Jahrhunderts« (Elfriede Jelinek), die damals das frühe Fundament des kritisch dokumentarischen Volksstücks verfasste und späteren Schreiber*innen wie Franz Xaver Kroetz und Rai- ner Werner Fassbinder einen fruchtbaren Boden bereitete.
Regisseurin Schirin Khodadadian sagt über Fleißers »Fegefeuer«: »Die bodenlose Sehnsucht nach Zukunft, nach Solidarität, nach Zugehörigkeit bricht im Fleißerschen Limbus auch nach fast hundert Jahren erschreckend unerlöst über uns herein – aus allen Zahnlücken pfeifen Bedingungslosigkeit und Ausgrenzung, Einsiedlernaturen und Lokalgrößen; kurz: Lebensgier.«
Premiere: 09. Dezember 2022, Kleines Haus
Marieluise Fleißer wurde im November 1901 in Ingolstadt geboren und verstarb dort am 2. Februar 1974. Sie studierte ab 1920 in München Theaterwissenschaft und Germanistik und schrieb bereits als Studentin ihr erstes Drama »Die Fußwaschung«, das später in »Fegefeuer in Ingolstadt« umbenannt wurde. Bis heute gilt sie für viele in Ingolstadt als die »ungeliebte Tochter« der Stadt.
Schirin Khodadadian studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Münster. Als Hausregisseurin am Stadttheater Ingolstadt inszenierte sie Enda Walshs »Trainspotting« (2002) und »Woyzeck« (2006). Für »So wild ist es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr« von Theresia Walser am Staatstheater Kassel bekam sie 2005 den Förderpreis für Re- gie der Deutschen Akademie für Darstellende Künste. Mit ihren Uraufführungsinszenierungen von Stücken der Autorinnen Theresia Walser und Rebekka Kricheldorf wurde sie zu den Au- torentheatertagen Berlin und den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Schirin Khodadadian arbeitet an vielen Stadt- und Staatstheatern im deutschsprachigen Raum, zuletzt inszenierte sie, sehr erfolgreich, »Das Erdbeben von Chili« von Heinrich von Kleist im Kleinen Haus des Stadttheater Ingolstadt.
Premiere: Frankensteins Braut (UA)
Ein Musical von Wolfgang Böhmer (Musik) und Peter Lund (Text)
Regie und Text: Peter Lund
Musikalische Leitung und Dirigat: Damian Omansen
Bühnenbild: Jürgen Kirner
Mit: Antje Rietz, Richard Putzinger, Renate Knollmann, Luiza Monteiro, Marc Simon Delfs
Nach dem Scheitern seiner Ehe lebt Henning in einer neuen Beziehung mit Maria. Seine Ex-Frau Carola, die Mutter der gemeinsamen Kinder Sophie und Joscha, versucht zum Wohle aller, gute Miene zu machen und abgesehen von den gelegentlichen Sticheleien mit beiden befreundet zu sein. Sophie, die Medizin studiert, versteht sich wunderbar mit Maria, Joscha kann der »Neuen« nicht unbedingt viel abgewinnen. Als bei Maria ein inoperabler Hirntumor diagnostiziert wird, gerät der Frieden in der Patchworkfamilie ins Wanken. Die Ärzte geben Maria höchstens drei Monate, doch Sophies Doktorvater schlägt eine innovative, noch nicht erprobte Behandlungsmethode vor, bei welcher der Frontallappen durch ein elektronisches Implantat ersetzt wird.
Das Stadttheater Ingolstadt hat den Berliner Autor Peter Lund und den Komponisten Wolfgang Böhmer zum Wissenschaftsjahr 2022 beauftragt, ein Musiktheaterstück zum Frankenstein-Mythos zu schaffen. Entstanden ist ein mitreißendes Stück über die gro- ßen Themen, die uns in dem bekannten Roman der Autorin Mary Shelley begegnen: das Überwinden des Todes mit Hilfe der Wissenschaft, Verantwortung für das eigene Handeln und nicht zuletzt Liebe.
»Schöne neue Welt: Wir sind auf dem Weg, das ewige Leben zu finden. Aber die Frage bleibt die alte: Könnten wir das auch ertragen?«, sagt Autor und Regisseur Peter Lund.
Premiere: 03. Dezember 2022, Großes Haus
Peter Lund (*1965) kann auf eine über 30-jährige Theaterkarriere als freischaffender Regisseur und Autor zurückblicken. In seinem Schaffen ist es ihm ein Anliegen, dem Genre des Musicals neue Aspekte abzugewinnen und aus dem Bespaßungs-Vorurteil herauszuholen. Gemeinsam mit Wolfgang Böhmer gelang ihm dieser scheinbare Spa- gat schon mehrfach mit großem Erfolg. Zu seinen erfolgreichsten Werken zählt sein immer wieder aufgeführtes Kinderstück »Hexe Hillary geht in die Oper«. Seit 2002 ist er als Leitungsmitglied des Studienganges »Musical/Show« Hochschullehrer an der Universität der Künste Berlin. Der Komponist, Arrangeur und Librettist
Wolfgang Böhmer (*1959) studierte Lehramt Musik in Wuppertal und Musikwissen- schaft und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als Komponist und Akteur in der Berliner Underground-Musicaltruppe College of Hearts entwickelte er zusammen mit Thomas Pigor, Benedikt Eichhorn, Susanne Betancor u.a. den Typus eines »Neuen Deutschen Musicals«, in dem sozialkritische Inhalte mit eingängiger Musik und intelligenter Unterhaltung verbunden werden. Besonders prägend und erfolgreich waren seine Kompositionen für die Neuköllner Oper in Berlin. Gemeinsam mit deren Intendanten Peter Lund entstanden diverse Musicals dieses neuen Typs.
Premiere: LET THEM EAT IPHIGENIE
von Natalie Baudy und David Moser nach Euripides ́»Iphigenie in Aulis« ab 14 Jahren
Regie und Text: David Moser Ausstattung: Stella Lennert Dramaturgie und Text: Natalie Baudy
Mit: Enea Boschen, Steven Cloos, Clara Schwinning, Olivia Wendt
Iphigenie ist gerade mal 15 und schon lastet das Schicksal des ganzen Griechenvolks auf ihr. Als sie in der Küstenstadt Aulis ankommt, wo das versammelte Heer bereit- steht, um nach Troja aufzubrechen, bietet sich ihr ein schrecklicher Anblick. Die Felder sind verdorrt, das Meer hat sich in eine warme Brühe verwandelt und die Menschen leben im Elend. Die Göttin Artemis hat die eitlen Griech*innen mit Hitze und Flaute bestraft. Und ausgerechnet Iphigenie soll all das beenden können? Wie? Und vor allem: wofür? Damit alles wieder so wird wie immer? Damit ihr Vater und ihr Onkel in sinnlosen Kriegen um Ruhm und Ehre kämpfen können und noch mehr Leid über die Welt bringen? Während die Griech*innen ihre vermeintliche Retterin wie einen Superstar feiern und Iphigenie immer weiter bedrängen, wird ihr langsam klar: Sie muss sich selbst opfern, um ihr Volk vor dem Niedergang zu retten. So will es Artemis, so will es das Griechenvolk. Aber selbst wenn sie durch Selbstaufgabe alle retten könnte – will sie sich wirklich der patriarchalen Ordnung fügen, um so das bestehende System zu erhalten?
Mit »LET THEM EAT IPHIGENIE« entwickeln Natalie Baudy und David Moser eine neue Überschreibung von Euripides’ antiker Vorlage »Iphigenie in Aulis«. Dabei untersuchen sie gemeinsam mit dem Ensemble die älteste Tochter der Klytämnestra als Figur, die abseits der todbringenden Altlasten ihrer Eltern und der unfreiwilligen Stilisierung zur Retterin des Humanismus (Goethe) ihre eigenen Werte finden will. Irgendwo zwischen Britney Spears und Greta Thunberg gesellt sich Iphigenie zu einer großen Gruppe junger Frauen, die zwar Vorbild sind und sogar verehrt werden, deren Schicksal und das, wofür sie stehen, ihnen aber längst aus der Hand genommen wurde. Wer also ist die selbstlose Heldin Iphigenie, deren Name und Bedeutung größer sind als alles, was sie jemals sein könnte? Warum brauchen wir sie scheinbar so dringend? Und müssen wir am Ende selbst zu Iphigenie werden?
Die Überschreibung des Iphigenie-Stoffs könnte eine Geschichte der Selbstermächtigung sein. Irgendwo zwischen Kind- und Erwachsensein hängend, versucht sich die heranwachsende Iphigenie von Patriarchat, Schicksal und Götterspruch zu emanzipieren und herauszufinden, was sie selber ist und will. Ein durchaus bekanntes Gefühl für junge Menschen auf dem Weg in die Eigenständigkeit, ein Ringen um Autonomie. Wie kann es gelingen, sich aus dem Wust der Erwartungen von Eltern, Schule und Gesellschaft zu befreien und seinen eigenen Weg zu finden?
Für den Regisseur David Moser ist Iphigenie eine Heldin, die nie eine sein wollte. »Sie wird zur Heldin gemacht. Die Erwachsenen verlangen von ihr das größte Opfer von allen: ihr Leben«, so Moser. Und er präzisiert: »Ich sehe Iphigenie als Stellvertreterin einer jungen Generation, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht hat, sondern von den Älteren dazu aufgerufen wurde, die zerstörte Umwelt und Natur zu retten. Auch sie haben keine Wahl. Iphigenie sucht dabei einen eigenen Weg, der nicht gewalttätig und laut, sondern einfühlsam und differenziert ist. Wir fragen uns gemeinsam mit Iphigenie: Wie können Jugendliche mit dieser scheinbar übergroßen Aufgabe umgehen, ohne sich selbst zu verlieren?«
Premiere: 17. Dezember 2022, Werkstatt / Junges Theater
David Moser studierte Kulturwissenschaften und Philosophie, bevor er als Regieassistent am Schauspiel Frankfurt tätig war, wo er u.a. mit Andreas Kriegenburg, Falk Richter und Alexander Eisenach arbeitete. Daraufhin studierte er Sprech- und Musiktheaterregie bei Prof. Sebas- tian Baumgarten an der Theaterakademie August Everding in München. Im Frühjahr 2020 gastierte er beim Studiengang Szenisches Schreiben an der UdK Berlin bei Prof. John von Düffel. Am Residenztheater inszenierte er 2021 die Uraufführung von Michel Decars Stück »Rex Osterwald«. Seine selbstverfasste Abschlussinszenierung »fake it till you die bakchen« wurde zu mehreren internationalen Festivals eingeladen. Weitere Arbeiten u.a. am Schauspiel Frankfurt, in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und am Theater der Altmark in Stendal. Gemeinsam mit der Autorin und Dramaturgin Natalie Baudy schreibt David Moser Texte und entwickelt Theaterprojekte für Erwachsene und Jugendliche.
Natalie Baudy studierte Theater- und Musikwissenschaft in Mainz, Paris und Berlin und Dramaturgie an der Theaterakademie August Everding in München. Seit August 2018 lebt sie als freischaffende Dramaturgin und Autorin in Berlin. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie seit 2015 mit der Berliner Performancegruppe MS Schrittmacher. Sie gewann den Chemnitzer Theaterpreis für junge Dramatik 2019. Aktuell forscht sie mit der Choreographin Annika Kompart zu Übersetzungsprozessen zwischen Tanz und Text und ist Stipendiatin des Hans-Gratzer-Stipendiums 2021 am Schauspielhaus Wien.