Dienstpflicht – Pro
Pro: Dienstpflicht
Warum ein verpflichtendes Dienstjahr eine Bereicherung für alle ist
„Nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine werden nun die Stimmen laut, die eine allgemeine Wehrpflicht in Deutschland fordern. Ich kann die Argumente verstehen, aber würde nicht so einseitig argumentieren. Deshalb befürworte ich ein verpflichtendes Dienstjahr – und das ausnahmslos für jeden. Frauen und Männer sollen sich gemeinsam für unsere Gesellschaft einbringen. Dabei gibt es nur eine Ausnahme: sollte jemand aufgrund sehr schwerer gesundheitlicher Einschränkungen dazu nicht in der Lage sein. Ein solches verpflichtendes Dienstjahr wäre ein riesiger Gewinn für die gesamte Gesellschaft – und auch für die jungen Menschen selbst.
Meine beiden Töchter haben beide freiwillig ein ehrenamtliches Jahr absolviert. Dieses hat sie in Ihrer persönlichen Entwicklung weitergebracht, so dass sie dabei konkretere Vorstellungen hinsichtlich ihrer späterer Berufswahl gefunden haben. Meine jüngere Tochter beispielsweise hat ein Jahr als Helferin im Ingolstädter Klinikum auf einer Station im sozialen Bereich am Patienten gearbeitet. Anschließend wurde sie Physiotherapeutin. Sie hatte diesen Berufswunsch bereits, der wurde aber während ihrer Tätigkeit im freiwilligen sozialen Jahr gefestigt und weiterentwickelt.
Aber nicht nur in der späteren Berufswahl kann ein verpflichtendes Dienstjahr richtungsweisend und hilfreich sein, sondern auch für die sogenannten weichen Faktoren, wie soziale Kompetenz, Erfahrungen, Neigungen, Interessen und Ausbildung der Persönlichkeitsmerkmalen usw. Nebenbei reift sicherlich auch die Erkenntnis in jedem, dass jeder von uns einen gesellschaftlichen Beitrag leisten muss. Das wirkt dem leider immer mehr vorherrschenden, egoistischen Gedankengut entgegen, dass viele meinen, lediglich die anderen sollten etwas für die Gemeinschaft tun.
Für die Gesellschaft wäre ein verpflichtendes Dienstjahr ebenfalls eine enorme Bereicherung – gerade in solchen Berufen, die latent und offensichtlich unter Personalnot leiden. Damit gewinnen wir notwendige Nachwuchskräfte in diesen für unsere Gesellschaft so wichtigen Sektoren. Gerade in den Bereichen Pflege und Gesundheit hat uns die Corona-Krise enorme Defizite aufgezeigt. Diesen Personalmangel könnten junge Menschen in ihrem verpflichtenden Dienstjahr zumindest teilweise füllen und für die spätere Berufswahl motivieren. Und auch Hilfsorganisationen, wie Feuerwehr, THW und BRK usw. sind darauf angewiesen, dass neue junge Menschen, mit anpacken.
Das gleiche gilt natürlich auch für die Bundeswehr. Ganz ohne Militär und Wehrdienst – das zeigt leider das aktuelle Beispiel in der Ukraine – geht es nicht. Das ist die traurige Erkenntnis dieser Tage. Aber es bringt auch nichts, Menschen eine Waffe in die Hand zu geben, die dies aus tiefster innerer Überzeugung ablehnen. Es braucht also Frauen und Männer, die bereit sind, im Ernstfall zu kämpfen und ihr Land zu verteidigen. Aber genau das muss weiterhin freiwillig sein. Trotzdem benötigt auch die Bundeswehr permanent neue Rekruten. Mit einem verpflichtenden Dienstjahr könnten wir auch die Nachwuchssorgen der Bundeswehr bewältigen.
Egal ob Wehrbereich, Sozial- oder Umweltengagement: Der Dienst am Nächsten wäre für alle eine Win-Win-Situation – für uns als Gesellschaft und für jeden einzelnen persönlich.“
Zur Person
Hans Stachel (55) ist Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Ingolstädter Stadtrat und Unternehmer einer Heizung- und Sanitärfirma. Stachel ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Kinder und lebt in Ingolstadt. Seinen Dienst hat er zehn Jahre beim BRK geleistet.
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