Digitalisierung – der ganz normale Wahnsinn?
Digitalisierung ist schon was Feines. Immer wieder beeindruckend, welch‘ tolle Möglichkeiten sich einem dadurch eröffnen und wie die kleinen mobilen Helfer meinen Alltag so beeinflussen. Ein Beispiel:
Nach einem kurzen Frühstück schnell übers Handy in die Web-Konferenz einloggen. Mit den Kopfhörern im Ohr der Session lauschend schnell aus dem Haus, um das Taxi zum Bahnhof zu erwischen. Im Taxi dann die WhatsApp eines Kollegen, der sich mit Corona-Verdacht krank meldet. Mist! Kurzerhand informiere ich – ebenfalls via WhatsApp – den Rest der Kollegen und erkläre das eigentlich geplante Meeting zur reinen Online-Version.
Im Zug logge ich meinen Laptop ins WLAN des IC ein. Während ich weiterhin via Handy der Web-Konferenz zuhöre und etwas über die Digitalisierung bei der Bahn erfahre, bin ich gleichzeitig mit meinem Laptop im Internet und kann mich so mit einer Online-Messe verbinden. Viele bekannte Experten, die ich dieses Jahr nicht treffen konnte, sind auf der Messe vertreten.
Schnell kann ich über die Chat-Funktion sogar ein paar Grüße loswerden. Und im Ohr noch der letzte Vortrag zu Digitalen Assistenzsystemen. Plötzlich taucht auch noch der Schaffner auf und will mein Ticket sehen, was ich natürlich auf dem Handy habe. Alles digital, ein Wahnsinn! Und schnell noch auf die Antworten im Chat der Messe reagieren. Um ein Haar hätte ich es allerdings verpasst, am Zielbahnhof auszusteigen. Als ich dann endlich im Büro angekommen bin, habe ich bereits mit zehn Leuten gechattet, vier Fachvorträge gehört und meinen Arbeitstag komplett reorganisiert. Und dabei ist es gerade erstmal 11 Uhr morgens. Ich selbst fühle mich allerdings schon sehr erschöpft und reif für den Feierabend.
Ich weiß nicht, wie Ihnen der Umgang mit der Digitalisierung gelingt. Aber an manchen Tagen empfinde ich diese auf den ersten Blick so tolle Digitalisierung als Fluch und Segen zugleich. Es ist so verlockend, diese vielen Konferenzen, Meetings und Messen, die früher noch mit entsprechenden Reisen an verschiedene Orte verbunden waren, nun digital wahrzunehmen. So kann ich gleichzeitig an einem Kongress, der eigentlich in Essen stattfinden sollte, und an einer Messe, die in Stuttgart geplant war, teilnehmen.
Die Gabe, sich an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig aufhalten zu können, die sogenannte Bilokation, schrieb die katholische Kirche früher nur bestimmten Heiligen zu. Heute kann das Jeder. Quasi als digitale Bilokation, die schnell aber auch in eine digitale Überforderung münden kann. Denn außer Stress ist mir von diesem Donnerstagmorgen nichts in Erinnerung geblieben. Weder zu Digitalen Assistenzsystemen, noch zu den zahlreichen Chat-Gesprächen (Entschuldigung an alle, mit denen ich an diesem Tag gechattet habe).
Der schönste Moment an diesem Donnerstag war übrigens, als ich dann spät abends mit dem Hund noch mal raus über die Felder gegangen bin. Ohne Handy, das hing schon am Ladekabel. Nur der Hund und ich. Ganz analog – an einem Ort. Bleiben Sie skeptisch und gesund!