SPD beantragt eine Tariftreue- und Vergabeordnung für Ingolstadt
Im Rahmen einer Fraktionssitzung tauschte sich die SPD Stadtratsfraktion Ingolstadt gemeinsam mit dem Oberbürgermeister Dr. Christian Scharpf und dem DGB Stadtverband zum Thema Vergabe von öffentlichen Aufträgen aus. Nun beantrag die SPD eine Tariftreue- und Vergabeordnung für Ingolstadt. Diese soll vorsehen, dass zukünftig kommunale Aufträge nur noch an Firmen vergeben werden, die zeitgemäße Tarif-, Sozial- und Ökostandards einhalten.
Der Vorsitzende des DGB-Stadtverbands Bernhard Stiedl führte in das Thema ein. „Tarifverträge sichern mehr als Lohn und Gehalt. Sie verschaffen den Menschen Sicherheit. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Arbeitnehmer*innen mit Tarifvertrag besser durch die Krise kommen“, erklärte Stiedl. Für die Zukunft wünscht sich der Gewerkschafter, dass mit den Steuergeldern der Bürger*innen keine Dumpingfirmen und Lohndrücker mehr bevorzugt werden.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Christian De Lapuente erklärte, dass es in Bayern bisher kein Tariftreue- und Vergabegesetz gibt, weshalb die SPD nun für Ingolstadt eine Tariftreue- und Vergabeordnung fordert. „In anderen Bundesländern gibt es bereits Gesetze, die die Vergabe von öffentlichen Aufträgen regeln. Deswegen verstehe ich nicht, dass CSU und FW die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung nicht unterstützen“, so De Lapuente weiter.
Auch der Oberbürgermeister äußerte Unverständnis darüber, dass es für Bayern keine einheitliche Regelung gibt. In einem Schreiben an die Bayerische Staatsregierung will Dr. Christian Scharpf für ein Tariftreue- und Vergabegesetz auf Landesebene werben. „Ein Großteil der öffentlichen Aufträge wird von Städten und Gemeinden vergeben. Bei den Ausschreibungen sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien achten. Daher würde ich mir wünschen, dass der Freistaat hier die Kommunen nicht alleine lässt, sondern für alle einheitliche Richtlinien formuliert, damit nicht jede Kommune ihre eigenen Vorgaben ausarbeiten muss“, machte Scharpf deutlich.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Veronika Peters sieht in einem Tariftreue- und Vergabegesetz vor allem eine große Chance für das heimische Handwerk und den Mittelstand. „Ob die Unternehmen ihren Mitarbeitern angemessene Löhne bezahlen, spielt bisher keine Rolle bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Dies hat oftmals zur Folge, dass der günstigste Anbieter zum Zuge kommt. Da haben regionale Unternehmen häufig keine Chance“, sagt die SPD-Stadträtin.
Antrag: Tariftreue- und Vergabeordnung
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
die SPD-Stadtratsfraktion stellt folgenden Antrag:
Der Stadtrat beauftragt die Verwaltung, für die städtischen Vergabeverfahren ein System aus Rahmenbedingungen für die Vergabe und deren vertragliche Umsetzung zu entwickeln, das sozialverträgliche Aufträge ermöglicht, bei deren Ausführung die dort eingesetzten Beschäftigten fair bezahlt werden.
Dabei sind folgende Grundsätze zu beachten:
Schon bei der Prüfung von Ausschlussgründen achtet die Stadt als Auftraggeber darauf, dass nur Personal eingesetzt wird, das sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und versteuert wird. Außerdem müssen die gesetzlichen Verpflichtungen zur Vergütung der zur Leistungserbringung einzusetzenden Beschäftigten eingehalten werden (gesetzlicher Mindestlohn, für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge). Hierzu werden von den Bietern nicht nur entsprechende Eigenerklärungen verlangt, die Einhaltung der Verpflichtung wird auch vertraglich sanktioniert. Außerdem kann der Auftraggeber eine Urkalkulation fordern, die auch die für die Leistungserbringung anfallenden Lohnkosten ausweist. Weicht ein Angebot mehr als 10 % vom Verfolgerfeld oder der Kostenschätzung ab, wird v.a. geprüft, ob mit diesem Preis die o.g., gesetzlichen Verpflichtungen eingehalten werden.
In der Ausschreibung des öffentlichen Auftrags wird spätestens nach Inkrafttreten einer entsprechenden, dahingehenden Regelung enthaltenden Gesetzes zusätzlich festgelegt, dass nur Unternehmen, die entsprechend tariftreu sind, den Zuschlag bekommen können.
Der Auftraggeber soll regelmäßig gehalten sein, bei der Vergabe von Lieferungen und Leistungen die Vergütung der für die Leistungserbringung einzusetzenden Arbeitnehmer*innen als Zuschlagskriterium zu berücksichtigen. Dafür gibt er in den Vergabeunterlagen die Gewichtung dieser Kriterien und die Wertungsmethode an.
Ferner soll der Bieter sich nach den zu erarbeitenden Richtlinien grundsätzlich gegenüber dem Auftraggeber verpflichten, soweit gesetzlich lt. Betriebsverfassungsgesetz gefordert über einen Betriebsrat zu verfügen. Falls lt. Bewerbungs- bzw. Verfahrensbedingungen für die Wertung maßgeblich, gibt der Bieter Erklärungen über Ausbildungsplätze sowie über Maßnahmen zur betrieblichen Gleichstellung von Frauen und Männern, und über die Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung jeweils bezogen auf die für die Leistungserbringung einsetzenden Arbeitnehmer*innen bzw. den dortigen Leistungsbereiche ab. Soweit für die Leistungserbringung oder v.a. für Lieferungen relevant, fragt der Auftraggeber auch die Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen ab.
Daneben soll der Auftraggeber regelmäßig ökologische Aspekte und Lebenszykluskosten als Zuschlagskriterien berücksichtigen. Jeweils gelten für die Vorgabe von Zuschlagskriterien außerhalb des Preises die oben für die Anwendung des Kriteriums Vergütung getroffenen Maßgaben (Angaben zur Gewichtung, Wertungsmethode).
Einen Vorteil kann der potenzielle Bieter bei der Anwendung dieser Kriterien im Übrigen nur verbuchen, wenn die dortigen Erklärungen auf alle zur Leistungserbringung eingesetzten Arbeitnehmer/innen, also auch auf Leiharbeitnehmer und Beschäftigte von Unterauftragnehmern zutreffen und das dort angegebene Niveau durchgehend eingehalten wird.
Die Einhaltung der vertraglichen Bestimmungen ist nach der Vergabe bei der Ausführung systematisch zu kontrollieren. Bei Verstößen sollen Vertragsstrafen bis zu insgesamt 5 % der Auftragssumme und die Möglichkeit des Auftragsentzugs bei Ersatz des für die Stadt entstandenen Schadens (z.B. wegen Notwendigkeit der Neuvergabe und Verzögerung des Verfahrens) vereinbart werden.
Der Stadtrat bittet darum, die vorlaufend tagenden Fachausschüsse eine entsprechende Richtlinie und einen Vorschlag für das weitere Vorgehen zur Beschlussfassung vorzulegen.
Dieses System soll anschließend bei allen Gesellschaften, an denen die Stadt über eine Mehrheitsbeteiligung verfügt, übernommen werden.
Begründung:
Bei ihren Vergaben achtet die Stadt künftig darauf, dass die bezuschlagten Auftragnehmer eine gute und faire Bezahlung der zur Leistungserbringung eingesetzten Arbeitnehmer*innen sicherstellen, auch für die Beschäftigten von Subunternehmern und für Leiharbeitnehmer*innen.
Davon wird jedenfalls ausgegangen, wenn die Bieterunternehmen tarifgebunden sind.
Solange es noch an einer landesgesetzlichen Regelung zu einem „Vergabetariflohn“ fehlt, lässt sich dies in erster Linie über die o.g. Wege sicherstellen: Verpflichtung der Bieter zur Einhaltung von gültigen Gesetzesvorgaben für die Vergütung etc. auch dem Auftraggeber gegenüber (dann kann dieser Verstöße vertragsrechtlich sanktionieren, auch wenn er nicht für die Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben zuständig ist) sowie Anwendung von Vergütungs- und sonstigen sozialen Kriterien als Zuschlagskriterien. Geregelte und faire Arbeitsverhältnisse sollen nach Möglichkeit die Regel sein.
Die öffentliche Hand ist der größte Auftraggeber. Jahr für Jahr geben die Vergabestellen des Bundes, der Länder und der Kommunen ca. 450 Milliarden Euro für die öffentliche Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen aus. Rund 14 Prozent aller öffentlichen Aufträge werden vom Bund, 30 Prozent von den Ländern und 56 Prozent von den Kommunen vergeben.
Der Staat als öffentlicher Auftraggeber ist allerdings kein normaler Marktteilnehmer. Er darf sich nicht allein von kurzfristigen Kostenüberlegungen leiten lassen. Vielmehr muss er seiner besonderen Vorbildrolle dadurch gerecht werden, dass er Steuergelder verantwortungsvoll bei der öffentlichen Auftragsvergabe verwendet und soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Beschäftigten vor Preisunterbietung durch Lohndumping und die Verhinderung eines Unterlaufens hiesiger sowie internationaler arbeits- und sozialrechtlicher Standards, sondern auch um die Sicherstellung einer hohen Leistungsqualität durch angemessene Bezahlung: Besser bezahlte Beschäftigte sind in aller Regel auch besser motiviert und lassen eine höhere Leistungsbereitschaft erkennen.
Eine solche Politik schützt gleichzeitig auch den Sozialstaat, da Sozialtransfers zur Ergänzung nicht existenzsichernder Löhne von Beschäftigten wegfallen, Einnahmen der Sozialversicherungen steigen und Altersarmut verhindert wird. Auch tragen auskömmliche Löhne zum Abbau bestehender Ungleichheiten in der Gesellschaft bei und stärken die Binnennachfrage, wovon auch die Wirtschaft profitiert. Soziale Kriterien steigern aber v.a. (s. dazu schon oben) die Qualität bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen.
Insbesondere die Sicherstellung der Tariftreue der Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge fördert die Stabilisierung des Tarifsystems, was angesichts der zurückgehenden Tarifbindung der Beschäftigten und Betriebe in Deutschland einen hohen Stellenwert hat. Das Vergabeverfahren ist der Hebel, um prekäre Beschäftigung zu verhindern und dadurch die öffentlichen Kassen zu entlasten. Eine enorme Rolle spielt dabei Schwarzarbeit. Jedoch dürften entsprechende Mindestkriterien für die Ausführung von Leistungen erst vorgegeben werden, wenn eine landesrechtliche Regelung erlassen worden ist, die dies fordert (Landesvergabegesetz).
Bei den Vorgaben bezieht sich der Auftraggeber auf die zur Leistungserbringung eingesetzten Arbeitnehmer*innen, um den Leistungsbezug zu gewährleisten. Ihm ist bewusst, dass er die Unternehmenspolitik des Bieters bzw. des potenziellen Auftragnehmers nicht beeinflussen darf, wenn es an jeglichem Leistungsbezug fehlt.
Der Stadtrat von Ingolstadt kann mit dem Ansatz, aufbauend auf der VOB/A und B zwischen Auftraggebern und (potenziellen) Auftragnehmern zusätzliche Vertragsbedingungen vereinbaren, die helfen, „unsaubere” Praktiken am Bau zu unterbinden. In ihnen wird insbesondere festgelegt, dass weder der Generalauftragnehmer noch seine Nachunternehmer Arbeitnehmer*innen illegal beschäftigen. Bei Verstößen gegen diese Festlegung muss das jeweilige Unternehmen eine Vertragsstrafe zahlen. Ein Betrag von bis zu fünf Prozent der Auftragssumme wird dafür auch von Gerichten als angemessen angesehen. Diese Strafe wird von der Vergabestelle von der Zahlung der Schlussrechnung einbehalten. Die Durchsetzung der Sanktion gestaltet sich demnach im Vergleich etwa zu Bußgeldern sehr wirksam.
Die Einhaltung eines Tarifvertrages ist die beste Methode, um prekäre Beschäftigung im Niedriglohnsektor zu verhindern und gleichzeitig sozialen Transferleistungen der Kommunen als ergänzende Hilfen vorzubeugen. Ein Gutachten von Prof. Dr. Rüdiger Krause aus 2019 für das Arbeits- und Wirtschaftsministerium im Saarland zur rechtlichen Zulässigkeit von Tariftreuereglungen kommt zu dem Ergebnis, dass Tariftreueklauseln auf Landesebene sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig sind.
Soweit vorhanden, stellen Betriebsräte einen wirksamen Schutz für Beschäftigte dar, um gute Arbeit sicherzustellen. Berufsausbildung ist der beste Weg, Fachkräfte für die Zukunft sicherzustellen und sollte im Wettbewerb einen Vorteil darstellen.
Mit freundlichen Grüßen
gez.
Christian De Lapuente, Veronika Peters, Hans-Joachim Werner, Jörg Schlagbauer, Petra Volkwein, Klaus Mittermaier, Dr. Manfred Schuhmann, Dr. Anton Böhm, Quirin Witty