Medizinhistorische Sensation: Ein Fugger-Manuskript in Ingolstadt
Am 28. August ist im Deutschen Medizinhistorischen Museum ein Manuskript zu sehen, das auf eine medizinhistorische Sensation hindeutet. Es ist die einzige Gelegenheit, das außergewöhnliche Schriftstück zu bewundern, bevor es intensiv beforscht wird und voraussichtlich erst nach einer mehrjährigen Untersuchung der Öffentlichkeit zugänglich wird.
Mit einem gemeinsamen Beitrag über das „Schneidhaus der Fugger in Augsburg“ beenden die Münchner Historikerin Dr. Annemarie Kinzelbach und Museumsdirektorin Prof. Dr. Marion Ruisinger die Vortragsreihe des Deutschen Medizinhistorischen Museums zum 700. Gründungsjubiläum der Ingolstädter Heilig-Geist-Stiftung. Dieser Schlussakzent bildet zugleich den Auftakt für ein ambitioniertes Forschungsprojekt des DMMI, das auf drei Jahre angelegt ist und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Im Zentrum von Vortrag und Forschung steht ein illustriertes Manuskript, das im Jahr 2016 von der „Gesellschaft der Freunde und Förderer des Deutschen Medizinhistorischen Museums“ für das DMMI erworben wurde.
Die großformatige Handschrift ist wie ein Buch gebunden. „Schon beim ersten Durchblättern kommt man ins Staunen und Fragen“, so Museumsdirektorin Marion Ruisinger. „Denn diese Handschrift ist mehr gemalt als geschrieben.“ Tatsächlich findet sich darin so gut wie kein zusammenhängender Text, aber dafür seitenweise farbige Porträts von Harnblasen-Steinen. Bei jedem ist der Name seines Trägers vermerkt, außerdem dessen Alter und Wohnort. Auf einige Steine wurde ein kleines rotes Kreuz gemalt. „In diesen Fällen hat der Steinkranke die Operation nicht überlebt“, so Ruisinger. Diese Operation – der Steinschnitt oder die „Lithotomie“ – wurde übrigens schon im hippokratischen Eid erwähnt. Die Kranken waren ganz überwiegend Knaben oder ältere Männer. Einer davon, der 14-jährige Sohn des Sebastian Dexel, stammte aus Ingolstadt. Auch sein Stein trägt ein rotes Kreuz. Andere Seiten zeigen keine Bilder, sondern gemalte Kartuschen, in denen ebenfalls Patientennamen und Behandlungen vermerkt sind. Hier handelte es sich ganz überwiegend um Leisten- oder Hodenbrüche, die teils mit dem Schnitt, teils mit dem Bruchband behandelt wurden. Andere Diagnosen wie „Fistel“ oder „Krepsschaden“ sind die Ausnahme.
Wo aber wurden diese Operationen durchgeführt? Und wer hat sie bezahlt? Warum hat man die Blasensteine anschließend aufwändig abgezeichnet und koloriert? Woher stammt dieses Manuskript überhaupt? Einige dieser Fragen haben Marion Ruisinger und Annemarie Kinzelbach, die das Projekt ab 1. September bearbeiten wird, schon im Vorfeld klären können: Das Manuskript stammt aus dem „Schneidhaus“, das Anton Fugger 1560 testamentarisch gestiftet hatte. „Im Fuggerarchiv in Dillingen“, so Ruisinger, „gibt es dazu eine reiche Parallelüberlieferung. Durch diese gute Aktenlage wurde es uns möglich, ausgehend von dem Manuskript ein Forschungsprojekt zu formulieren.“ So werden in Dillingen die Rechnungsbücher aus dem Schneidhaus aufbewahrt, in denen für die Jahre von 1571 bis 1630 rund viertausend chirurgische Patienten namentlich aufgeführt sind – darunter auch diejenigen aus dem gemalten Manuskript.
Was dieses Projekt für die Forschung so interessant macht: Bislang ist man davon ausgegangen, dass es damals (zumindest in unseren Breiten) keine Spitäler gegeben hat, die auf chirurgische Eingriffe spezialisiert waren. Zumindest in Augsburg scheint das aber doch der Fall gewesen zu sein. Damit wäre das „Schneidhaus“ der Fugger die erste – etwas salopp formuliert – chirurgische Klinik Mitteleuropas gewesen. Die DFG bewilligte dem Museum nicht nur das Forschungsprojekt, das nun erstmals der Geschichte des Schneidhauses nachgeht, sondern gewährte ihm auch Unterstützung für die Sonderausstellung, in der die Forschungsergebnisse abschließend einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden – und das nicht nur in Ingolstadt, sondern auch im Maximilianmuseum in Augsburg, das als Kooperationspartner an dem Antrag beteiligt ist.
Wer nicht so lange warten möchte, kann bei dem Abendvortrag am 28. August das Manuskript schon jetzt im Original bewundern. Der Marburger Fachantiquar Dr. John Wilcockson, von dem die Förderergesellschaft das Manuskript vor drei Jahren kaufte, wird bei dem Vortrag ebenfalls anwesend sein und weitere Informationen zu dessen Herkunft geben.
Der Vortrag findet am Mittwoch, 28. August um 19 Uhr in der Ausstellung „radikal analog“ statt. Einlass ist ab 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, der Vortrag dauert ca. 60 Minuten. Eine Anmeldung ist nicht nötig. Nach dem Vortrag gibt es die Möglichkeit, bei einem Glas Wein ins Gespräch zu kommen.
Foto: DMMI/Monika Weber