Standing Ovations für Petrus´ Tränen
Gastspiel der Salzburger Festspiele in Ingolstadt
Nein, sie wollten sie gar nicht mehr gehen lassen. Am Ende winkten die Zuschauer im Festsaal des Stadttheaters den Sängerinnen und Sängern des Los Angeles Master Chorale hinter – und diese winkten fröhlich zurück, bevor sie hinter der Bühne verschwanden. Was für ein Erlebnis, dieser Chor, für den die Bezeichnung Chor irgendwie fast schon banal erscheint.
Das fantastische Ensemble des Los Angeles Master Chorale (Leitung Grant Gershon) ist bei dieser Inszenierung voll gefordert. Die 21 Sängerinnen und Sänger durchleben das, was sie singen: sie liegen, stehen, gehen, knien, recken die Arme nach oben, greifen sich an die Brust, krümmen sich vor Schmerz. Genau um den geht es ja auch. Der große Renaissance Komponist Orlando di Lasso (der in München wirkte und dessen Werke im 16. Jahrhundert übrigens regelmäßig in Ingolstadt aufgeführt wurden) hat mit diesem (seinem letzten) Werk die gesungene Version eines gebrochenen Herzens geschaffen. Es geht um Petrus, der Jesus verleugnet hat und sich diese Schande nicht verzeihen kann, eben um „Lagrime di San Pietro“, also die Tränen des Petrus.
Regisseur Peter Sellars hatte vor der Aufführung im Festsaal per Videobotschaft seine Inszenierung erläutert und gemeint: „Orlando di Lasso is like Bob Dylan“. Es ist also viel Emotion im Spiel. Vor allem Scham, Trauer, Schuld: „Geh fort Leben, verlass mich! Du sollst mich nie wieder zum Feilgling machen!“ Petrus mit Suizidgedanken? Das war im 16. Jahrhundert eine skandalöse Denkweise, weshalb der Text von Luigi Tansillo auch durch die Inquisition verboten war. Zum Schluss des A-Capella-Werks (Vers 21 stammt nicht von Tansillo, sondern von Philippe de Quelle) beklagt Jesus den Verrat: „Der innere Schmerz ist weit schlimmer, da ich erfahren musste, wie undankbar du bist.“ Die Sängerinnen und Sänger gehen dabei aufeinander zu. Eine Umarmung. Licht aus. Dann Stille, bevor Applaus und Jubel im (nicht ausverkauften und unübersehbar leere Sitzreihen vorweisenden) Theaterfestsaal los brechen.
Diejenigen, die dabei waren, werden dieses Gastspiel der Salzburger Festspiele, das seit Jahrzehnten zum Programm der Audi Sommerkonzerte gehört und diesmal abgekoppelt von der Ingolstädter Konzertreihe stattfand, sicherlich lange in Erinnerung behalten. Und wer weiß, ob es eine solche Aufführung in Ingolstadt überhaupt wieder geben wird.
Foto: Audi AG