Zufällig in Wolfenbüttel geboren
Brigadegeneral Lutz Erich Niemann im Interview
Lutz Erich Niemann, Ingolstadts Brigadegeneral, wurde am 8. März 1957, wie er sagt, „zufällig“ in Wolfenbüttel (Niedersachsen) geboren und ist dann als Sohn eines Soldaten in ganz Deutschland aufgewachsen. Die letzten Jahre seiner Schulzeit verbrachte er in München, wo er auch sein Abitur machte. „Von der Schule hatte ich dann die Nase voll. Ich wollte nicht mehr groß theoretisch lernen und habe in der Bundeswehr eine Verbindung zwischen körperlicher Fitness, Umgang mit Menschen und Technik sowie viel Draußen-Sein in der Natur, gesehen“, erinnert er sich. Ganz ohne Schulbank ging es dann aber doch nicht weiter: von 1976 bis 1979 studierte er an der Universität der Bundeswehr München Pädagogik.
Zahlreiche Verwendungen später fällte er den Entschluss dabei zu bleiben. „Ich hatte gefunden, was ich gesucht habe. Es hat mir Spaß gemacht. Vor allem der tagtägliche Kontakt mit jungen Menschen. Man konnte wirklich was bewegen. Es war das nicht alltägliche Berufsbild, das mich dann überzeugt hat“, so Niemann.
Mit einem Erfahrungshintergrund von 44 Jahren – so lange ist Niemann schon Soldat – betrachtet er das Ganze mittlerweile etwas differenzierter: „Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich meinen Entschluss keinesfalls bereut habe. Es war eine tolle Zeit mit vielen interessanten, herausfordernden Verwendungen und Begegnungen mit tollen Menschen. Das Berufsbild hat sich aus meiner Sicht aber schon dramatisch verändert. Ich will mal so sagen: Ich würde es mir zumindest gut überlegen, ob ich das heute nochmal machen würde“.
Während seiner Dienstzeit (44 Jahre) hatte Lutz Erich Niemann bisher viele „sehr interessante, herausfordernde und auch arbeitsintensive Posten im In- und Ausland“ inne. „Die längste Verwendung hatte ich bislang als Brigadekommandeur in Amberg in der Oberpfalz. Das waren dreieinhalb Jahre. Als Brigadekommandeur hat man Verantwortung über sehr viel Personal und Material. In dieser Zeit war ich auch im Einsatz im Kosovo. Das war schon eine sehr erfüllende Zeit. Aber ich will auch meine Dienstposten im Ausland auf keinen Fall missen – egal ob Straßburg, London oder Stettin in Polen“, betont er.
Insgesamt 14 Mal ist Niemann mit seiner Familie dienstbedingt umgezogen. Für ihn persönlich ist Ingolstadt – bedingt durch die Laufbahn seines Vaters – sogar bereits der 21. Wohnort in seinem Leben. „Meine Frau ist immer mit umgezogen und solange die Kinder noch zuhause waren, sind sie auch mit umgezogen. Das ist in Deutschland schon eine Herausforderung, denn die Kulturhoheit der Länder macht den Schulwechsel für Kinder nicht unbedingt einfach“, so Niemann.
Er persönlich habe sein Leben lang Familie und Beruf als Einheit gesehen. „Wenn die Familie nicht mitzieht, also nicht auch hinter dem Beruf steht, durch die vielen Abwesenheiten, durch die vielen Versetzungen, durch die Einsätze, dann haben Sie als Soldat verloren. Wenn Sie den Rücken nicht frei haben zuhause, dann können Sie auch keinen anständigen soldatischen Dienst leisten“, erklärt er.
In seiner Freizeit versucht Niemann natürlich die Zeit mit seiner Familie zu verbringen – oft mit sportlichen Aktivitäten wie Wandern oder Ski fahren. „Aber ich bin auch in meiner Freizeit viel unterwegs, da meine Söhne, die ja mittlerweile erwachsen sind, bedingt durch meine Laufbahn, in Deutschland verstreut leben“. „Mir ist bewusst, dass ich nach den deutschen Kriterien wahrscheinlich keine Heimat mehr finden werde, aber ich fühle mich sehr wohl in Oberbayern. Ich verbinde Heimat einfach nicht damit, dass ich in einem Haus für 60 Jahre gewohnt haben muss. Das ist für mich eher ein abschreckendes Heimatgefühl“, ergänzt er.
Voraussichtlich bis zu seiner Pension im Jahr 2021 wird Lutz Erich Niemann am Standort Ingolstadt bleiben und je nach Anzahl der Lehrgangsteilnehmer für 600 bis 1.000 Soldatinnen und Soldaten zuständig sein. Vor seiner Versetzung im April 2016 hatte er von Ingolstadt nie mehr als den Truppenübungsplatz gesehen. „Ich habe Ingolstadt nur von der Autobahn aus als Raffinerie-Stadt wahrgenommen. Ich muss sagen, ich war positiv überrascht. Ich empfinde Ingolstadt als eine moderne, junge und offene Stadt“.
Niemann ist vorbehaltloser Anhänger der Wehrpflicht. Dennoch glaubt er nicht, dass die Abschaffung der Wehrpflicht zu Berührungsängsten zwischen Militär und Gesellschaft geführt hat: „Ich denke eher, dass die Bundeswehr in der Bundesrepublik schon immer ein bisschen mit Distanz und Interesselosigkeit betrachtet worden ist“. Auch nach dem Mauerfall hatte sich die Bundeswehr stark gewandelt. Was die Aufgaben – schließlich entfiel die Aufgabe der Landesverteidigung an der innerdeutschen Grenze und Einsätze außerhalb Deutschlands kamen dazu – und auch was die Menschen angeht. „Wir haben eine dramatische Reduzierung mitgemacht. Von, wenn man die NVA-Soldaten mitzählt, über 600.000 auf letztendlich 180.000 Soldaten“.
Eine europäische Armee hingegen hält Niemann für absolut sinnvoll, aber unrealistisch. Natürlich werde es eine zunehmende Zusammenarbeit geben, aber „die europäischen Nationen werden sich nie insoweit einigen, dass sie nationale Kompetenzen für den Einsatz ihrer Streitkräfte abgeben. Man muss sich ja nur mal das Chaos um den Brexit anschauen“.
Lutz Erich Niemann ist viel in der Welt herumgekommen und stellte dabei vor allem eines fest: „Ich kann die deutsche Grundstimmung des Meckerns, des Gefühls, dass es einem schlecht geht absolut nicht teilen. Uns Deutschen geht es im Weltvergleich viel besser als anderen Nationen. Und zwar in jeglicher Hinsicht. Sei es der tägliche Konsumbedarf, der leicht gedeckt werden kann, Krankenversicherung oder soziale Absicherungen. Das alles ist in anderen Ländern bei weitem nicht so entwickelt wie bei uns. Und trotzdem schlägt man die Zeitung auf und es gibt nur Gemecker. Man spürt immer eine gewissen Grundaggressivität. Das habe ich in anderen Ländern deutlich entspannter kennengelernt“.